Nach knapp zwei Jahren steigender Preise geht der Krypto-Bullenmarkt im Einklang mit dem Richtungswechsel der US-Notenbank zu Ende. Ein umfassender Rückblick auf den dritten Marktzyklus des Bereichs, Neuerungen im Blockchainbereich, institutionelle Adoption sowie ein Ausblick in die Zukunft der digitalen Assets.
Gegen Ende 2020, nach dem Covid Schock und in Übereinstimmung mit ersten neuen aufkommenden Anwendungsfällen auf der Blockchain-Infrastruktur wurde ein neuer Krypto-Bullenmarkt geboren. Im Dezember 2020 schaffte es das Alphatier Bitcoin nach 3 Jahren Bärenmarkt erstmals, sein altes Allzeithoch bei 20'000 Dollar aus dem Jahr 2017 zu durchbrechen. Seither ist viel Geschehen: Bitcoin und andere Kryptowährungen haben neue Allzeithochs verzeichnet und die Blockchaininfrastruktur ist wieder ein Stückchen erwachsener geworden. Doch es kam wie immer in solchen Phasen zu Übertreibungen und diese Kapriolen bezahlt der Kryptomarkt aktuell mit seiner anhaltenden harschen Preiskorrektur.
Ein Rückblick zu den Entwicklungen der Krypto-Branche sowie ein Blick auf die aktuelle Kurskorrektur inklusive Ausblick auf die potenzielle Zukunft des Bereichs.
2020 - Bitcoin erwacht aus dem Bärenmarkt
Die COVID-19-Krise und darauffolgende Quantitative Easing (QE) Massnahmen der US-Notenbank führten zu einer beispiellosen Ausweitung der Geldmenge im Jahr 2020. Dies steigerte den Risikoappetit der Investoren, wobei auch einige die neue Anlageklasse der digitalen Assets berücksichtigten. Und so erlebte Bitcoin kurz nach der dritten Halbierung seiner Inflationsrate eine Premiere: der US-Amerikanische Softwarehersteller MicroStrategy kündigte als erstes öffentlich gehandeltes Unternehmen an, seine Aktiva in Bitcoin zu diversifizieren.
Die Investition des Unternehmens wurde rasch ausgeweitet, wobei sich die wahre Auswirkung in einem neuen Narrativ für das digitale Asset versteckte. MicroStrategy wurde zu einem erfolgreichen Aushängeschild für die Adoption Bitcoins als alternative zu Gold, die in die Anlagestrategie eines jeden Unternehmens gehören sollte. Öffentliche Auftritte und private Gespräche des CEOs Michael Saylor stärkten dieses Narrativ; nur wenige Monate später war auch Automobilhersteller Tesla davon überzeugt. Paypal und andere Zahlungsanbieter, aber auch Wallstreetbanken haben mittlerweile die grösste Kryptowährung in ihre Dienstleistungen eingebunden und unzählige weitere Entwicklungen führten zu einer grösseren Aufmerksamkeit auf Kryptowährungen im Generellen.
Erste Keime des Web 3.0
Parallel zu den Entwicklungen im Bitcoin-Ökosystem wurde auf der grössten Smart Contract fähigen Blockchain Ethereum der Bereich der dezentralen Finanzanwendungen geboren. Damit wurde es möglich, Finanztransaktionen auf einer neuen Ebene direkt unter den Teilnehmern (P2P) abzuwickeln. Dank des erlaubnislosen Charakters konnte jedermann die DeFi-Anwendungen benutzen. Es entstanden dezentrale Handelsplätze und Kreditplattformen, an welche Liquidität gegen Hinterlegung von Kryptosicherheiten geliehen oder entliehen werden konnten mit einer frei durch Angebot und Nachfrage entstandener Zinskurve.
Durch die integrierten Automated Market Maker Protokolle (AMM) - die einen zentralen Bestandteil Blockchain-basierter Börsen darstellen - war es zudem ab diesem Zeitpunkt für jedermann möglich, an Liquiditätspools zu partizipieren und damit einen Teil der Handelsgebühren jenes Pools zu erhalten. Bitcoin und andere Kryptowährungen konnten als Sicherheit in Kreditprotokolle hinterlegt werden, um Kredite dagegen aufzunehmen und anderweitig anzulegen. Mit dem Entstehen verschiedener DeFi-Plattformen entstand ein Kampf um Liquidität, der mit inflationären Tokenemissionen der jeweiligen Plattformen geführt wurde, um die Attraktivität zu steigern. Über die Zeit entstanden unzählige DeFi Applikationen auf verschiedenen Blockchains, welche durch immer höhere Ausschüttungen eigener Protokolltoken Liquidität und Benutzer an sich binden wollten.
Nicht-fungible Token (NFTs)
Abgesehen von Krypto-spezifischen Investmentfonds und interessierten Einzelhändlern lockte der DeFi-Bereich jedoch kein grosses Publikum hinter dem Ofen hervor. Sammler, Künstler, Gamer, Individualisten, Kultanhänger und andere Individuen fanden ihr Blockchain-Anwendungsfall über eine weitere Entwicklung, die sich anbahnte. Als Fortsetzung der Memecoins fand der ERC-721 Standard - eine nicht-fungible Tokenvariante auf dem Ethereum-Netzwerk - einen Anwendungsfall, der eine erweiterte Gruppe von Blockchain-Nutzern ansprach. Es war die Geburt der NFTs, eine Gattung, die über eine lange Zeit nicht wahrgenommen wurde, die jedoch den Kryptohype weiter antrieben.
Individuelle Token konnten mit digitalen Gegenständen verknüpft werden. Bilder als gängigstes Beispiel konnten fortan über die Walletadresse unveränderlich einem Benutzer zugeschrieben werden. Limitierte Kollektionen fanden unter digitalen Sammlern reissenden Absatz und da Handelsplattformen nicht lange auf sich warten liessen, entstand innert Kürze ein Marktplatz, auf dem bald tägliche Umsätze von mehreren hundert Millionen Dollar verzeichnet wurden. Der Hype führte dazu, dass auf Tagesbasis unzählige neue "limitierte" Kollektionen auf den Markt geworfen wurden. Weitere NFT-Anwendungsfälle in Spielen und im Metaversum befeuerten den Trend zusätzlich.
Die Blockchain-Infrastruktur gerät an Kapazitätsgrenzen
Das rapide Wachstum in den Bereichen DeFi und NFTs führte zu einer Überlastung der Ethereum-Blockchain und liess damit die Transaktionsgebühren in die Höhe schnellen. Das Blockchain Trilemma hatte zugeschlagen und neue Auslagerungsmöglichkeiten für die gesteigerte Nachfrage nach Blockchainkapazität mussten her.
Es war die Geburtsstunde alternativer Smart Contract Plattformen sowie Layer 2 Lösungen, die auf der Ethereum-Blockchain als Hauptbuch aufbauten. Es entstanden neue Blockchainplattformen, die meistens Ethereum kompatibel waren und so konnten die erfolgreichen DeFi und NFT Applikationen gleich auf den neuen Ketten geklont werden. Und Sie haben es vermutet: Um Nutzer und Validatoren auf die neuen Blockchains zu bringen, wurden für fast jede neue Lösung native Token ins Leben gerufen, die hauptsächlich für Transaktionsgebühren eingesetzt werden konnten, aber natürlich auch als Tausch und Spekulationsmittel dienten. Die Klone der erfolgreichen Applikationen hatten wiederum ihre eigenen Token, die den Bereich durch weitere Emissionen verwässerten.
Institutionelle Adoption
Die Euphorie um digitale Assets, angetrieben durch die neuen Anwendungsfälle, führte Bitcoin und all die anderen Kryptowährungen in neue Sphären. Eine eigene Anlageklasse entsprang aus den Kinderschuhen und auch die traditionelle Finanzwelt wollte ein Stück des digitalen Kuchens. Nach der Notierung von Bitcoin-Futures und -Optionen an amerikanischen Börsen folgte im Oktober 2021 das erste US-börsenkotierte Bitcoin-ETF. Ein Ritterschlag für die älteste Kryptowährung und ein Ausgangspunkt für viele US-Grossbanken, seinen Kunden Dienstleistungen im Bereich der digitalen Assets anzubieten.
Ein täglich wachsendes Angebot trifft auf eine limitierte Nachfrage
Der Markt war gierig, die Nachfrage gewaltig und das Angebot noch gewaltiger. Im November 2021, einen Monat nach dem lang erwarteten Bitcoin-ETF, lag die Gesamtmarktkapitalisierung der gut 30'000 ausstehenden, offiziell gezählten Token bei etwas über 3 Billionen Dollar - wobei der mittlerweile auf über 65'000 Dollar angestiegene Bitcoin gut ein Drittel der Gesamtmarktkapitalisierung ausmachte. 11 Monate zuvor standen wir bei einem Bitcoin-Preis von 20'000 USD und einer Gesamtmarktkapitalisierung von 750 Mrd. USD.
Jeden Tag wurden neue Token im Wert von Dutzenden Millionen emittiert, neue NFTs kreiert und Allokationen der Risikokapitalgeber entsperrt. DeFi-Protokolle schütteten eigene Tokenrenditen im 3-stelligen Prozentbereich aus, um lebenswichtige Liquidität zu binden. Zu dem gesellten sich die üblichen Blockbelohnungen der Miner hinzu, die nur schon bei Bitcoin mit rund $60. Mio. pro Tag zu Buche schlugen. Natürlich konnte niemand sagen, wann die Musik aufhört zu spielen. Die Sinnlosigkeit der Projekte sowie die schiere Unendlichkeit an neuen digitalen Token, die jeden Tag ihre Käufer suchten, deuteten jedoch auf eine Übertreibungsphase hin.
Reinigendes Gewitter
Just im November 2021 verzeichneten auch die meisten Kryptowährungen ihr bis dato gut 80% höheren Höchstkurs als heutzutage. Es folgte, was irgendwann kommen musste: Der Markt konnte das täglich neu kreierte Angebot nicht mehr absorbieren. Der umgeschlagene Trend hat sich in den letzten Monaten zweifelsohne im Einklang mit dem Gesamtmarkt akzentuiert. Das durch Quantitatives Tightening (QT) forcierte allgemeine Riskoff-Gebaren schlug im überhitzten Kryptomarkt zuletzt besonders durch. Auch wenn es wehtut, es war wohl nötig. Viele der Probleme, die ans Tageslicht kommen, sind hausgemacht. Zu viele Projekte ohne reellen Nutzen, zu viel Euphorie rund um das noch in den Kinderschuhen steckende Web3, und zu viel auf ponzinomischen Modellen basierende Protokolle.
Der Kryptomarkt steckt inmitten einer reinigenden Gewitterwelle. Auch grössere und prominente Namen wurden in den Strudel mitgerissen. Die Schwachstellen der angezählten Institute unterscheiden sich nicht vom traditionellen Finanzmarkt. Zu viel Leverage, mangelnde Diversifikation und unrealistisches Bilanzstrukturmanagement führen in Stresssituationen oft zum Zusammenbruch. Im Krypto-Markt existiert jedoch keine Notenbank, die "too big to fail" Marktteilnehmern zur Hilfe eilt und mit einem nicht marktkonformen Zinsumfeld Zombiefirmen kreiert. Hier entscheidet der freie Markt über Leben und Sterben. Auch wenn es wehtut: nur so entsteht ein robuster, gegenüber dem traditionellen Finanzmarkt überlegener und beständiger Markt, besetzt mit krisenresistenten Marktteilnehmern, die ihre Risiken im Griff haben (müssen).
Krypto ist gekommen, um zu bleiben
Der Trümmerhaufen der Marktkorrektur ist auf den ersten Blick riesig. Doch es gibt Licht am Ende des Tunnels: Richtet man seinen Blick auf die fundamentalen Entwicklungen der Blockchain-Branche, kann man zweifelsohne einen gewaltigen Fortschritt erkennen. Die letzten 2 Jahre waren wild und der Kater der Party entsprechend. Die weiterentwickelte Infrastruktur rund um Krypto und deren Derivate ist dennoch bemerkenswert. Risikokapitalgeber investierten zuletzt Milliarden in die Infrastruktur und mittlerweile benutzen geschätzte 300 Millionen Menschen weltweit Kryptoanwendungen. Mit einer Wachstumsrate von gegen 100% könnte die Einmilliardengrenze bereits 2024 überschritten werden. Die Kombination der hinzugekommenen Ingredienzien hat das Potenzial, die Interaktionen im Internet zu revolutionieren. Über Token werden Benutzer direkt in ein Ökosystem eingebunden, das haben mittlerweile auch renommierte Firmen ausserhalb der Finanzwelt entdeckt. Die Synthese blockchainbasierter Anwendungen mit Web2 sowie Realweltanwendungen führt schlussendlich zum Metaversum oder Web3, ein Bereich mit unbegrenzten Möglichkeiten und enormen Potenzial.
Dank einer fortgesetzten Regulierung verschmilzt das Gebiet zusehends mit dem traditionellen Finanzbereich. Dies macht durchaus Sinn. Dank Blockchain-basierter Finanzsysteme entstehen transparente, manipulationsfreie und effiziente Abwicklungssysteme, die den aktuellen Finanzinfrastrukturen überlegen sind. 24/7 verfügbare Märkte und durch Smart Contracts kontrollierte Risikosysteme liquidieren untergedeckte Kreditlinien, ohne Wenn und Aber. Das Finanzsystem 2.0 oder das Web3 wird aber nicht autark existieren. Eine Fusion der jeweiligen Systeme wird über die Zeit zum grössten Nutzen führen und uns in die nächste Ära leiten, die ähnlich wie das Aufkommen des Internets in den 2000er-Jahren einzustufen ist.