Die Umstellung des Konsensalgorithmus von Proof of Work (PoW) auf Proof of Stake (PoS) der Ethereum-Blockchain ist ein einschneidendes Ereignis für die noch junge Kryptowelt. Klappt der "Merge" Mitte September, eröffnen sich neue Perspektiven für das grösste Smart-Contract-fähige Blockchainnetzwerk.
Die Smart-Contract-Plattform Ethereum hat schon erhebliche Veränderungen erfahren. Der nächste Schritt in der Geschichte Ethereums wurde als Ethereum 2.0 bekannt und zeichnet sich in der ersten Phase durch einen Wechsel des Konsensmechanismus auf Proof of Stake aus. Diese erste Phase wurde im Dezember 2020 eingeläutet. Mitte September wird sie in einer Verschmelzung (engl. = Merge) der Proof of Stake Blockchain (Beacon Chain) und der Haupt-Blockchain resultieren.
Geteilte Konsens- und Applikationsschicht
Ethereum ist eine gemeinsam genutzte virtuelle Maschine. Das Netzwerk ermöglicht es Nutzern, den globalen Zustand des Systems durch dezentralen Konsens zu verwalten. Ein Nutzer kann Transaktionen zwischen Adressen senden und empfangen sowie Turing-komplette Computerprogramme, sogenannte Smart Contracts, auf der Blockchain einsetzen. Diese Smart Contracts können für unzählige Applikationen genutzt werden. Die beliebtesten Anwendungen finden sich momentan in der Welt der dezentralen Finanzen (DeFi) und nicht-fungiblen Token (NFTs).
Die seit Ende 2020 operierende Beacon-Chain wird neben der Ethereum-Blockchain als Konsensschicht fungieren, welche die Blockchain mit dem Proof of Stake Konsens sichert. Ähnlich wie bei herkömmlichen Proof of Work Systemen wählt die Beacon Chain den Node aus, der den nächsten Block in der Kette validiert. Allerdings wird diese Entscheidung nicht aufgrund der Rechenleistung getroffen (Mining), sondern anhand der hinterlegten Ether (Staking). Anschliessend koordiniert die Beacon Chain die Aufnahme der validierten Blöcke und die Aufteilung der Kette in die Ethereum-Blockchain.
Die Verschmelzung der Beacon-Chain mit Ethereum
Die Beacon Chain wurde ursprünglich getrennt von der Ethereum-Blockchain ausgeliefert. Das Ethereum-Mainnet wird weiterhin durch Proof of Work gesichert, während die Beacon Chain parallel dazu mit Proof of Stake läuft. Der Merge bezeichnet den Zeitpunkt, an dem diese beiden Systeme schliesslich zusammengeführt werden. Die Ethereum Foundation nutzt oft den Vergleich eines Raumschiffs, das noch nicht ganz bereit für eine interstellare Reise ist. Mit der Beacon Chain hat die Community einen neuen Motor und einen gehärteten Rumpf gebaut. Wenn die Zeit gekommen ist, wird das aktuelle Schiff an das neue System andocken und zu einem Schiff verschmelzen, das einige Lichtjahre zurückzulegen und das Universum erobern kann.
Ankündigungen der Ethereum-Foundation zufolge wird die Ethereum-Blockchain zwischen dem 15. und 16. September mit der Beacon Chain „verschmelzen“ und zu einem eigenen „Shard“ werden, der anstelle von Proof of Work das ressourcenschonende Proof of Stake verwendet. Der Merge wird es dem Ethereum-Netzwerk so ermöglichen, Smart Contracts im Proof of Stake System auszuführen. Da die gesamte Geschichte und der aktuelle Stand von Ethereum übernommen werden muss gehen die Entwickler mit äusserster Sorgfalt vor. Schliesslich soll der Übergang möglichst reibungslos für Ethereum-Nutzer ablaufen. Im Falle eines signifikanten Fehlers wären hunderte Milliarden an Nutzergeldern gefährdet.
Keine tieferen Transaktionsgebühren nach dem Merge
Ein gängiges Missverständnis zum Merge bezieht sich auf die Transaktionskosten und -geschwindigkeit des Ethereum-Netzwerks. Da es sich beim Merge lediglich um einen Konsenswechsel von Proof of Work auf Proof of Stake handelt, beinhaltet das Upgrade keine Verbesserungen des Netzwerkdurchsatzes. Transaktionsgebühren werden weiterhin wie eh und je gehandhabt. Die tatsächliche Skalierung Ethereum erfolgt erst mit dem nächsten Fokus der Entwickler: Sharding.
Sharding ist ein in der Informatik geläufiger Prozess der horizontalen Aufteilung einer Datenbank, um die Last auf verschiedene "Shards" aufzuteilen. Dies entlastet einzelne Teile des Netzwerks und erlaubt in Kombination mit Rollups eine exponentielle Beschleunigung Ethereums. Erwartet wird Sharding im Jahr 2023, solange es beim Merge keine weiteren Komplikationen gibt. An der jährlichen Ethereum-Konferenz in Paris (EthCC) präsentierte Ethereum-Mitgründer Vitalik Buterin ein aktualisiertes Diagramm zur Entwicklung des Netzwerks:
ETH - Das perfekte zukünftige Blockchain-Investmentvehikel?
Mit dem "Merge" könnte der Blockchain-native Token des Ethereum Netzwerks vermehrt auf den Radar von Investoren fallen. Ether (ETH) ist zwar bereits jetzt über verschiedentliche Börseninstrumente für institutionelle Investoren zugänglich. Jedoch stand die zweitgrösste Kryptowährung nach Marktkapitalisierung stets im Schatten des Übervaters Bitcoin. Der Merge führt bei erfolgreichem Gelingen zu gewichtigen neuen Eigenschaften. Diese könnten dazu führen, dass Ether als attraktives Investment im Bereich Blockchain wahrgenommen wird.
ESG-kompatibel
Die Umstellung des Konsensalgorithmus führt zu einer geschätzten Reduktion des gesamten Netzwerk-Energieverbrauchs um über 99.9%. Damit rückt Ether gegenüber dem Platzhirsch Bitcoin auf der Agenda von Investoren, die nach dem ESG-Standard handeln, plötzlich ganz nach oben. Ether könnte damit die erste grosse Kryptowährung sein, die sich für ein ESG-kompatibles Investieren qualifiziert.
Deflationäre "Tokenomics"
Das Gesetz des Marktpreises wird durch Angebot und Nachfrage diktiert. Das ist im Kryptomarkt nicht anders. Gerade in diesem Bereich konnte gut beobachtet werden, was passiert, wenn hoch inflationierte Token auf eine limitierte Käuferschaft treffen. Bitcoins Schaffer Satoshi Nakomoto war sich der Thematik bewusst. Er schuf mit einer abnehmenden Ausschüttungsrate einer der Grundsteine für nachhaltiges Vertrauen in den Werterhalt der grössten Kryptowährung. Aktuell schafft das Ethereum-Protokoll rund 4% neue Ether pro Jahr, um die Betreiber des Netzwerks zu belohnen. Mit dem Merge ändert sich die Ausschüttungsrate dramatisch. Statt rund 13'000 Ether, die aktuell täglich den Minern ausgeschüttet werden, schlagen ab dem Merge nur noch rund 1'600 Ether für die Staker zu Buche. Da seit dem London-Upgrade im August 2021 (EIP1559) je nach Nutzung des Netzwerks auch noch Ether "verbrannt" werden, kann es zukünftig durchaus zu deflationären Phasen der Kryptowährung führen.
Ausschüttung für Staker
Die Änderung auf Proof of Stake belohnt neu die Staker des Netzwerks. Sogenannte Validatoren, die für die Sicherheit des Netzwerks sorgen, werden mit 32 ETH bestückt. Prinzipiell kann jeder Netzwerkteilnehmer über eine Validatorsoftware als Staker auftreten. Zusätzlich werden etliche Dienstleister im Bereich ihren Kunden vereinfachte Staking Möglichkeiten anbieten. Die Ausschüttungen für Staker dürften nach Schätzungen zu jährlichen Renditen im Bereich 4-10% führen. Wohlgemerkt findet die Ausschüttung in Ether statt, jedoch verfügt damit ein Investment in das schnellstwachsende Web3-Netzwerk über eine Rendite; für institutionelle Anleger besonders attraktiv.