Mit einer garantierten jährlichen Rendite von 18-20% verzeichnete TerraUSD (UST) einen rasanten Anstieg auf den ersten Platz der algorithmischen Stablecoins. Dieser endete schlussendlich in einem Zusammenbruch des gesamten Terra-Luna-Ökosystems und der Vernichtung von 60 Milliarden USD an Marktwert. Ein Post Mortem.
Stablecoins, meist in der Form von Dollar-Token, etablierten sich über die vergangenen Jahre als essenzielle Pfeiler in der Welt der dezentralen Finanzanwendungen (DeFi). Sie sind in den volumenstärksten Krypto-Währungspaaren enthalten und gelten dank der Bindung an eine Fiatwährung als sicherer Hafen gegenüber den volatilen Kryptowährungen. In der Regel werden Stablecoins durch zentral geführte Firmen verwaltet, die neu erschaffene Token mit Dollareinlagen und liquiden Finanzinstrumenten absichern.
Algorithmische Stablecoins bedienen sich einem anderen Ansatz. Ein Algorithmus/Protokoll fungiert in diesem Fall als Zentralbank und ist für die Stabilität der Bindung zuständig. Anders als bei vollständig durch erstklassige Kryptoassets gedeckten oder übergedeckten Stablecoins findet die Bindung/Deckung über den eigenen Token des Protokolls statt, dessen Preisfindung frei von Angebot und Nachfrage abhängt. In der Theorie sollte der Mechanismus durch Prägung und Rücknahme eigener Protokolltoken in der Lage sein, inflationäre oder deflationäre Tendenzen des betreffenden Stablecoins ausgleichen zu können. In der Praxis zeigt sich anhand des Luna Beispiels, dass solche Modelle nur mit einem stetigen Nachfrageanstieg funktionieren und im umgekehrten Fall sehr vulnerabel auf überproportionale Rückgaben der Anleger reagieren.
Das Zusammenspiel zwischen LUNA und UST
Terra nutzte für den Erhalt der Dollarbindung ein solches duales Tokensystem. Einerseits wurde der LUNA-Token für das bezahlen von Netzwerkgebühren, Abhalten von Governance-Abstimmungen, Teilnahme am Konsensverfahren (PoS) und dem Prägen von Stablecoins eingesetzt. Demgegenüber stand der dollargebundene Stablecoin TerraUSD (UST), dessen Bindung durch ein einzigartiges Seigniorage-System gewährleistet werden sollte.
Terra’s System nutzte entsprechend einen Token Prägungs- und Verbrennungsmechanismus in Verbindung mit dem Plattform-Token LUNA. Um neue Stablecoins in der Form von UST zu schaffen, wird derselbe Dollar-Betrag in LUNA vernichtet. Werden UST zurückgegeben, werden für denselben Dollarbetrag Terra Token geschaffen, die dann verkauft werden können. Ein Dollar in LUNA Token sollte also immer in einen UST eingetauscht werden und umgekehrt. So ergab sich eine Arbitrage-Möglichkeit für Marktteilnehmer, falls der TerraUSD-Kurs von 1 Dollar abwich. Auch übte der Mechanismus einen deflationären Druck auf LUNA aus, wenn UST an Adoption gewann.
Anchor als Säule des Terra-Luna Ökosystems
Um die ursprünglich schwerfällige Nachfrage für UST anzukurbeln, entwickelte Terras Gründungsteam (Terraform Labs) im Jahr 2021 das DeFi-Protokoll Anchor. Dabei handelte es sich um ein dezentrales Sparprotokoll - analog zum Ethereum-basierten Aave - das fixe Renditen auf UST-Einlagen gewährleisten sollte (18-20% pro Jahr). Da die Geldmarktzinsen und Staking-Renditen zusammen mit dem Marktumfeld schwanken, hatte das Protokoll einen Notfall-Reservepool eingerichtet. In Zeiten eines schwachen Marktes sollte Anchor auf diese Reserven zugreifen, um die hohen Renditen weiterhin zu gewährleisten.
Das Anchor-Protokoll definierte einen Geldmarkt zwischen einem Kreditgeber, der stabile Renditen auf seine Stablecoins erzielen- und einem Kreditnehmer, der Stablecoins auf hinterlegte Vermögenswerte leihen wollte. Neben einigen anderen DeFi-Applikationen und E-Commerce-Lösungen auf der hauseigenen Terra Blockchain, gewährleistete Anchor die bedeutendste Nachfrage für TerraUSD (UST). Dank des attraktiven und künstlich hochgehaltenen Anlegerzinses von 20%, welcher in UST und somit notfalls mit neu geschaffenen Lunatoken finanziert wurde, konnte vorerst eine stetige Nachfrage nach UST aufrechterhalten werden, was über längere Zeit die Verwundbarkeiten des ganzen Systems überbrücken konnte.
Die Risiken des ganzen Terra-Ökosystems waren bekannt, einige Kritiker sprachen offen über ein Ponzi-Sytem und schlossen sogar Wetten mit dem Gründer Do Kwon ab, dass das ganze System kollabieren wird.
Der Zusammenbruch
Am 8. Mai 2022 zeigte der UST-Stablecoin erste Anzeichen von Schwäche und fiel kurzzeitig auf 98 Cents. Als Reaktion lösten einige gehebelte UST-Halter und Liquiditätsanbieter (LPs) allmählich ihre Positionen auf, um sich vor einem Einsturz abzusichern. Doch die Abzüge aus dem grössten Terra-DeFi-Produkt wirkten sich neben dem Preisdruck auch negativ auf das Vertrauen in UST aus. Nach wenigen Stunden trieben Liquidationen gehebelter Positionen und Panikverkäufe den UST-Preis auf 60 Cents – knapp 40% tiefer als die vorgesehene Dollarbindung.
Aufgrund der hohen Volatilität des UST-Token erhöhten sich die Spreads für den Eintausch gegen LUNA, wodurch der Bindungsmechanismus letztendlich versagte. An dieser Stelle kam die Luna Foundation Guard (LFG) ins Spiel; eine Non-Profit-Organisation, die Bitcoin-Reserven im Wert von 4 Milliarden Dollar zum Bindungserhalt verwaltete.
2/ Consistent with its non-profit mission & focus on the health of the Terra ecosystem, beginning on May 8, when the price of $UST began to drop substantially below one dollar, the Foundation began converting this reserve to $UST.
— LFG | Luna Foundation Guard (@LFG_org) May 16, 2022
Trotz der Liquidierung des gesamten Reservepools der LFG war UST's Implosion nicht mehr zu stoppen. Unsummen an UST wurden im Rahmen des Seignorage-Systems in neu erschaffene LUNA getauscht, die dann auf dem offenen Markt verkauft wurden - die Todesspirale des Ökosystems war damit in vollem Gange. Kombiniert verfügten UST und LUNA über eine Marktkapitalisierung von 60 Milliarden US-Dollar, die sich innerhalb von Tagen unter eine Milliarde verflüchtigten. Gestoppt wurde der Prozess erst mit der Ausserkraftsetzung der gesamten Terra-Blockchain.
Terra Gründer bevorzugt Überheblichkeit gegenüber Lösungsansätzen
Der Südkoreaner Do Kwon, zählt zu den Hauptentwicklern der Terra Blockchain und ist Mitbegründer des in Singapur ansässigen Unternehmens Terraform Labs. Die 2018 gegründete Gesellschaft verfügte über $32 Mio. Startkapital, u.a. von Binance, Arrington XRP und Polychain Capital.
Kritik an der Funktionsweise des Terra-Ökosystems und dessen Verwundbarkeit beantwortete der Do Kwon jeweils gerne persönlich über Twitter. Die Reaktion des Gründers gegenüber Kritikern umfasste hauptsächlich herablassende Kommentare statt einer konkreten Adressierung der oft genannten Schwachpunkte des Protokolls. Ein Beispiel dafür liefert eine Twitter Nachricht vom November 2021, worin anschaulich beschrieben wurde, wie ein böswilliger Akteur mit rund einer Milliarde USD eine Liquidationskaskade auslösen könnte. Statt auf die Kritik einzugehen, forderte Kwon alle Milliardäre heraus, Raynolds' Plan zu folgen.
Probably the most retarded thread ive read this decade.
Silence is a perfectly acceptable option if stupid.
Billionaires in my following, go ahead, see what happens https://t.co/wtt9OhX4kg
— Do Kwon 🌕 (@stablekwon) November 28, 2021
Tatsächlich wies der Twitterthread auf kritische Fehler im Seignorage-System hin, der schliesslich zum Kollaps des Terra-Luna-Ökosystems führte. Auch am 8. Mai inmitten des ersten Bindungsverslustes, betitelte Kwon Skeptiker lediglich als finanzschwach und versicherte seinen Anhängern, dass eine langfristige UST-Entkoppelung ausgeschlossen sei. Es wirkt somit naheliegend, dass das unprofessionelle Verhalten des Terra-Gründers auch einen negativen Einfluss auf ausschlaggebende Entscheidungen der Luna Foundation und ihren Kapitalgebern hatte, insbesondere auf erste Rettungsversuche namhafter Risikokapitalgeber.
Fazit: Ein Rückschlag für algorithmische Stablecoins sowie für den gesamten DeFi Bereich
Im Zuge des Einbruchs entschied sich das Gründungsteam, das gesamte Terra-Ökosystem ohne den algorithmischen Stablecoin UST auf einer abgespalteten Blockchain (engl. = Fork) neu aufzubauen; dessen Erfolgsaussichten sind nach dem Debakel allerdings mehr als fraglich.
Auch wenn die Gerüchte stimmen, dass eine gezielte Attacke durch Hedgefonds zu dem Zerfall des Terra-Ökosystems führten, heisst das schlussendlich nur, dass die Funktionsweise algorithmisch besicherter Stablecoins nicht nachhaltig ist.
Im Grossen und ganzen muss festgehalten werden, dass durch den Milliardeneinbruch vor alllem viel Vertrauen in die noch junge DeFi Welt verspielt wurde. Trotz den schon seit längerer Zeit vorhandenen Warnzeichen haben viele Anleger beträchtliche Summen verloren. Das Konzept von fraktional besicherten Stablecoins dürfte mit Terra sein frühzeitiges Ende gefunden haben. UST folgt damit sehr prominent unzähligen gescheiterten Versuchen unterbesicherter Stablecoins, allerdings in einem imposanten Ausmass.
Schon in der traditionellen Finanzwelt hat sich immer wieder gezeigt, dass das fraktionale Reservesystem von Banken unüberschaubare Risiken beinhaltet. Das ist in einem blockchainbasierten Umfeld nicht anders. Schlussendlich gelten in der dezentralen Finanzwelt dieselben Prinzipien wie in der alten Welt. Erstklassige Sicherheiten sind einer der Grundpfeiler für finanzielle Stabilität.
Möchte man dem Ganzen etwas Gutes abgewinnen, bleibt festzuhalten: Der zum Zeitpunkt des Terra-Zerfalls rund $150 Mrd. umfassende DeFi-Bereich konnte die Implosion ohne grosse Kollateralschäden wegstecken. Dieser realitätsbehaftete Stresstest zeigt die Robustheit eines 24/7 operierenden blockchainbasierten Finanzsystems.