ESG oder ethisches Investment ist eine Anlageform, bei der auf verschiedene Faktoren geachtet wird. Nicht nur wirtschaftliche, sondern auch sozioökonomische und nachhaltige Grundsätze spielen eine grosse Rolle. Können Bitcoin & Co. die üblichen ESG-Standards erfüllen?
Diese drei Komponenten bilden ESG: Umwelt (environmental), Sozial (social) und Governance. ESG-Investitionen haben in den letzten Jahren an Zugkraft gewonnen. Dabei stellt sich die Frage, ob Kryptowährungen damit vereinbar sind. In diesem Artikel gehen wir auf dieses Thema ein und kommen zu dem Schluss, dass viele Kryptowährungen mit den ESG-Standards übereinstimmen und in ein gut diversifiziertes Portfolio aufgenommen werden können.
Proof-of-Work und das Energieproblem von Bitcoin
Das erste Problem bei Kryptowährungen ist oft der Energieverbrauch. Da Bitcoin (BTC) die bekannteste Kryptowährung überhaupt ist, werden meist alle zu Bitcoin zutreffenden Aspekte, auf alle kleinern Kryptowährungen abstrahiert. Dies ist jedoch ein grosser Trugschluss. Nach Angaben von Bloomberg wird der Energieverbrauch von Bitcoin von 6.6 Terrawattstunden im Jahr 2017 auf 138 Terawattstunden Anfang 2022 gestiegen sein. Sein jährlicher Stromverbrauch ist grösser als der von gesamt Norwegen. Der CO2-Fussabdruck von Bitcoin beträgt rund 114 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Emissionen pro Jahr. (Vergleichbar mit dem von Belgien.)
Der intensive Energieverbrauch von Bitcoin ergibt sich direkt aus dem Konsensmechanismus und der Art und Weise, wie Blöcke erzeugt werden. Bitcoin verwendet einen Proof-of-Work (PoW) Mechanismus. Dieser Mechanismus ist so konzipiert, dass die Miner miteinander konkurrieren. Sie wetteifern darum, den nächsten Block zu schürfen und die in Bitcoin ausgezahlten Belohnungen zu erhalten. Da die schnellsten Miner die Belohnungen erhalten, ist das Mining zu einer Industrie geworden. In dieser laufen Tausende von Mining-Racks parallel, um das kryptografische Rätsel für die Behlonungen zu lösen. Beachten Sie, dass die aufgewendete Energie dazu verwendet wird, das Bitcoin-Netzwerk zu sichern und ein dezentrales, offenes Netzwerk zu schaffen. Desweiteren kann das Netzwerk von jedem weltweit genutzt werden. Die Energie wird also nicht verschwendet.
Die für das Mining von Bitcoin verwendete Energiequelle hat sich im Laufe der Zeit verändert. Nach Angaben des Beratungsunternehmens Roland Berger stammen 57% des Minings aus erneuerbaren Energien. Die Krypto-Community ist sich des Energieproblems bewusst. Sie hat eine Lösung gefunden, den sogenannten Crypto Climate Accord.
Crypto Climate Accord
Der Crypto Climate Accord (CCA) ist eine vom Privatsektor geführte Initiative für die gesamte Krypto-Community, die sich auf die Dekarbonisierung der Kryptowährungsbranche konzentriert. Ein Konsortium aus privaten Akteuren kündigte sie im April 2021 an. Es will alle Blockchains bis 2030 auf erneuerbare Energien umstellen und bis 2040 Netto-Null-Treibhausgasemissionen erreichen. Die Initiative wird von drei gemeinnützigen Unternehmen geleitet: dem Rocky Mountain Institute, der Energy Web Foundation und der Alliance for Innovative Regulation.
Die ersten beiden sind gemeinnützige Organisationen, die sich auf Nachhaltigkeit und den Übergang zu einem kohlenstoffarmen Fussabdruck konzentrieren. Gleichzeitig ist die Alliance for Innovative Regulation eine internationale Interessengruppe, die sich für die Einführung fairer Finanzsysteme einsetzt. Das Abkommen hat derzeit zwei Ziele:
- Erreichen von Netto-Null-Emissionen aus dem Stromverbrauch für CCA-Unterzeichner bis 2030
- Entwicklung von Standards, Werkzeugen und Technologien mit den CCA-Unterstützern, um die Adoption von Blockchains zu beschleunigen und die Fortschritte auf dem Weg zu 100% mit erneuerbaren Energien betriebenen Blockchains bis zur UNFCCC-Konferenz COP30 im Jahr 2025 zu überprüfen
Finanzielle Integration
Nach Angaben der Weltbank haben 76% der Weltbevölkerung ein Bankkonto. Wirtschaftliche Entwicklung, Zugang zu Finanzdienstleistungen und Armut sind miteinander verknüpft. Kritiker argumentieren, dass Kryptowährungen nur behaupten, finanzielle Eingliederung zu bringen, dies aber nicht tun. Kryptowährungen können das Problem der Armut nicht lösen. Allerdings senken Kryptowährungen die Hürden für den Eintritt in das Finanzsystem. Es gibt keinen Mindestbetrag, um eine Wallet zu eröffnen, keine KYC-Anforderungen, keine Wartungsgebühren, sondern nur Transaktionskosten.
Um Zugang zu Kryptowährungsdiensten zu erhalten, sind lediglich ein Smartphone und eine Internetverbindung erforderlich. Bis zum Jahr 2023 werden voraussichtlich 85% der Weltbevölkerung ein Smartphone besitzen, was Kryptowährungen für Personen aus Entwicklungsländern im Hinblick auf Finanzgeschäfte sehr attraktiv macht. Auch hier ist der Prozentsatz des Smartphone-Besitzes in den Entwicklungsländern gering und wird mit der Zeit exponentiell ansteigen.
Einem Chainalysis-Bericht aus dem Jahr 2021 zufolge sind die Schwellenländer die Länder mit der höchsten Adoption von Kryptowährungen, wobei Vietnam, Indien und Pakistan die ersten drei Plätze belegen. Mehr als 80% der 15 grössten Nutzer von Kryptowährungen kommen aus Entwicklungsländern, wie die folgende Tabelle zeigt. Dies deutet darauf hin, dass Kryptowährungen Dienstleistungen anbieten, zu denen diese Menschen sonst keinen Zugang hätten.
Die Dauer grenzüberschreitender Transaktionen ist ein Problem für Unternehmen und Privatpersonen, die häufig Geld aus anderen Ländern senden und empfangen. Nach Angaben des SWIFT-Zahlungsnetzes dauern elektronische Überweisungen in der Regel mehrere Tage, da das Geld über mehrere Banken fliesst. Kryptowährungen bieten eine bequeme Alternative. Die Abwicklungszeiten für Zahlungen in Kryptowährungen sind deutlich kürzer als für Zahlungen in herkömmlichen Währungen. Bitcoin und Ethereum beispielsweise bieten durchschnittliche Transaktionszeiten zwischen 12 Sekunden und 60 Minuten. Im Vergleich dazu können Überweisungen zwischen vier Stunden und fünf Tagen dauern, und Kredit-/Debitkartentransaktionen können laut einem Bericht von Morgan Stanley bis zu 9 Tage in Anspruch nehmen.
Die Transaktionskosten für Kryptowährungen sind ebenfalls niedriger als bei herkömmlichen Zahlungsmethoden. Morgan Stanley zufolge liegen die durchschnittlichen Transaktionsgebühren bei Bitcoin und Ethereum zwischen 2 und 4 USD, während die Gebühren für eine Schecküberweisung bei 15 bis 20 USD und für eine Überweisung bei 25 bis 50 USD liegen. Darüber hinaus erfolgen Transaktionen in neueren PoS Blockchains quasi sofort (Endgültigkeit innerhalb einer Sekunde), und die Transaktionskosten liegen bei 0.3 USD im Falle von Avalanche, 0.1 USD bei Polygon und 0.00025 USD bei Solana.
Illegale Aktivitäten
Einem Chainalysis-Bericht aus dem Jahr 2022 zufolge erreichte die Kryptowährungskriminalität im Jahr 2021 ein Allzeithoch, wobei mehr als 14 Mrd. USD in illegale Wallets verschoben wurden. Vergleicht man jedoch die 14 Milliarden USD mit dem gesamten Kryptowährungs-Transaktionsvolumen, beträgt der Anteil nur 0.15% und ist gegenüber den vorherigen Jahren zurückgegangen.
Damit ist der Prozentsatz der festgestellten illegalen Aktivitäten bei allen Kryptowährungen niedriger als in der Gesamtwirtschaft, die nach Angaben der Vereinten Nationen 2-4% des weltweiten BIP ausmacht. Demnach beläuft sich die weltweite Korruption auf 2 Billionen USD (nach Schätzungen der Weltbank), eine Zahl, die deutlich höher ist als die der Kryptowährungen.
Der Rückgang des Anteils der mit Kryptowährungen finanzierten illegalen Aktivitäten ist auf die zunehmende globale Regulierung der digitalen Börsen zurückzuführen. Beachten Sie auch, dass Blockchain eine offene Technologie ist. Alle Transaktionen sind auf der Kette direkt beobachtbar, was die Rückverfolgbarkeit von Geldströmen erleichtert.
Geschäftsführung bei Krypto-Projekten
Blockchain-Protokolle sind Software, weshalb Softwareentwickler die Macht haben, das Netzwerk zu schaffen oder zu zerstören. Die Governance (Verwaltung) spielt hierbei eine wichtige Rolle, da eine kleine Gruppe von Entwicklern oft das Recht hat, den Code zu ändern. Wie man so schön sagt: Mit grosser Macht kommt grosse Verantwortung.
Protokolländerungen werden nicht von einer einzigen Partei oder einer festen Gruppe von "Anteilseignern" beschlossen, wie bei traditionellen Unternehmen. Die Verwaltung von Protokollen ist flexibler, da jeder das Recht hat, Vorschläge zu machen. Der Vorteil dieses Ansatzes besteht darin, dass die Entscheidungsgrundlage verbreitert wird und mehr Interessengruppen einbezogen werden. Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, sicherzustellen, dass die getroffenen Entscheidungen die Langlebigkeit und das Wohlergehen des Protokolls gewährleisten.
Was die Verwaltung des Protokolls betrifft, so erfolgt die Steuerung entweder ausserhalb der Chain oder innerhalb der Chain. Die alten Blockchains, wie Bitcoin und Ethereum, haben eine Off-Chain-Governance. Damit ist es nicht notwendig, den Protokoll-Coin zu besitzen, um das Recht für Änderungen der Chain zu erhalten. Man kann sich das wie ein Unternehmen vorstellen, bei dem Nicht-Aktionäre das Recht haben, an der Generalversammlung teilzunehmen und Vorschläge zu machen.
Im Fall von Ethereum sind die verschiedenen Instanzen an der Ethereum-Governance beteiligt:
- Ether-Inhaber
- Nutzer, die mit Ethereum-Anwendungen interagiert haben
- Anwendungs- und Tooling-Entwickler
- Betreiber von Ethereum Nodes
- EIP-Autoren (die Person, die die EIP im Governance-Forum vorschlägt)
- Miner/Validators des Netzwerks
- Protokollentwickler, auch bekannt als "Kernentwickler"
Verwendung von EIP/BIP
Um eine Protokolländerung vorzuschlagen, die EIP (Ethereum Improvement Proposals) genannt wird, gibt es klare Regeln. Noch wichtiger ist, dass alle EIPs öffentlich aufgelistet. Alle Teilnehmer, die ein Mitspracherecht haben wollen, können sie überprüfen.
Normalerweise schlägt ein Mitglied eine EIP im Governance-Forum vor. Er enthält eine ausführliche Beschreibung der vorgeschlagenen technologischen Änderungen und eine Begründung des Vorschlags. Die Community gibt dann ein Feedback, das den Kernentwicklern mitgeteilt wird. Dann wird entschieden, ob der Vorschlag weiterverfolgt, vorläufig zurückgestellt oder abgelehnt wird. In der Regel wird der Vorschlag in dieser Phase geprüft. Bevor aber ein Vorschlag der angenommen wurde definitiv auf dem Ethereum-Netzwerk eingeführt wird, muss er in Testnetzen getestet werden.
Im Fall des Bitcoin-Netzwerks werden die Vorschläge als Bitcoin Improvement Proposals (BIPs) bezeichnet. BIPs sind informelle Vorschläge und Ideen, die normalerweise in Community-Chats oder durch Social Media Engagement entstehen. Bevor die Empfehlung zu einem "BIP" wird, wird sie per E-Mail oder über andere Kommunikationskanäle verbreitet. Wenn der Vorschlag auf grosse Zustimmung stösst, kann der Autor ihn in die nächste Phase überführen und in ein BIP umwandeln.
Sobald ein BIP als Entwurf auf BIP GitHub eingereicht wurde, wird der Vorschlag von der Entwicklergemeinschaft geprüft und transparent bearbeitet. Dadurch kann jeder seinen Fortschritt und die daraus resultierenden Testergebnisse sehen. Da die Bitcoin Blockchain auf Code basiert, spiegeln sich Protokolländerungen sofort wider. Aufgrund der schwerwiegenden Auswirkungen könnten einige Änderungen für Miner mit Kosten verbunden sein. Daher ist für eine Änderung des Codes die Zustimmung von etwa 95% der Miner erforderlich, es sei denn, der Autor gibt einen vernünftigen Grund für eine niedrigere Schwelle an.
Ähnliche Konzepte in DeFi
Bei Dapps (dezentralen Anwendungen), die auf diesen Layers aufbauen, ist der Prozess ähnlich. Allerdings sind die Kernentwickler des Netzwerks an diesem Prozess nicht beteiligt. Fast alle Dapps verfügen über einen Governance-Token für diesen Prozess (der in der Regel entweder an die ersten Nutzer der App verteilt wird oder auch an Börsen zum Marktpreis erworben werden kann). Es gibt einen On-Chain-Abstimmungsprozess, der im Allgemeinen ein Tool wie snapshot.org verwendet. Der gewichtete Durchschnitt der Stimmen (entsprechend dem jeweiligen Anteil jedes Wählers am Governance-Token) entscheidet, was mit der vorgeschlagenen Implementierung für die Dapp geschieht.
Eine Form der On-Chain-Governance erfolgt über DAOs (Decentralized Autonomous Organizations). Die Abstimmung in DAOs ist wie die On-Chain-Abstimmung bei Protokollen. Hier müssen die Token-Inhaber ihre Token "staken", um an der Governance teilnehmen zu können. Je mehr Token der Wähler besitzt, desto höher ist die Gewichtung der Stimme. Diese Token bleiben bis zum Ende der Abstimmung gestaked.
Schlussfolgerung
In dieser Publikation haben wir einige Aspekte von ESG-Investitionen behandelt. Wir haben uns auf Kohlenstoffemissionen, finanzielle und soziale Eingliederung, illegale Aktivitäten und Governance konzentriert. Die ESG-Standards haben eine breitere Abdeckung als die hier behandelte. Ob Kryptowährungen mit ESG-Standards übereinstimmen, kann in dieser Publikation nicht abschliessend beantwortet werden. Unserer Ansicht nach sind es viele von ihnen und der allgemeine Trend geht zu ESG-freundlicheren Protokollen.
Mit der bemerkenswerten Ausnahme von Bitcoin verlieren die energieintensiven PoW-Protokolle langsam an Zugkraft. Sie werden von energieeffizienten PoS-Protokollen abgelöst. Bei Bitcoin hat sich der Energiemix verbessert, da 57% der Energie aus erneuerbaren Quellen stammen. Kryptowährungen allein können die Armut nicht lösen. Die Daten deuten jedoch darauf hin, dass Kryptowährungen in Entwicklungsländern, in denen die Finanzinfrastruktur nicht so weit entwickelt ist wie in der westlichen Welt, weit verbreitet sind. Die finanzielle Eingliederung ist dadurch in gewissem Masse gegeben.
Der Anteil der illegalen Aktivitäten geht zurück, da sich die Kryptowährungsbranche auf die kommende Regulierung vorbereitet. Die Diversität ist immer noch gering, aber die Gruppen arbeiten daran. Und schliesslich gibt es Innovationen in der Governance, die ein Level an Transparenz bieten, das in der traditionellen Welt selten zu finden ist.