Das GameStop (GME) Debakel sorgte für viel Aufmerksamkeit. Einige Leute sehen dabei das Problem bei zentralen Systemen. Laut diesen Kritikern könnten die Mängel des heutigen Finanzsystem womöglich durch dezentrale Blockchain-Alternativen gelöst werden.
Die Handels-App von Robinhood geriet unter Beschuss, nachdem ihren Benutzern Handelsbeschränkungen auferlegt wurden. Als weitere Broker nachzogen, löste das einen Aufschrei in Social-Media-Gruppen und bei gewählten Regierungs-Vertretern aus. Betroffene vermuteten einen Versuch der Wall Street, sich gegen neu ermächtigte populistische Investoren zu schützen.
Je nach Sicht offenbarte das Debakel zum einen die Macht, welche die grossen Institute auf die Kleinanleger ausüben können, wenn der Markt gegen deren Wetten agiert. Zum anderen offenbarte sie Verbindungen, die in der durchregulierten Branche erstaunliche Interessenskonflikte an den Tag legten. Aber auch, wie eine organisierte Bewegung als Masse Einfluss auf den Finanzmarkt ausüben und davon profitieren kann.
Die Ansätze der Blockchain-Technologie und die Umsetzung derer in der Welt der dezentralen Finanzapplikationen (DeFi) könnten hier direkte Lösungsansätze bieten. Der technische Stand von dezentralen Börsen ist aktuell bei weitem noch nicht in der Lage, Ordermatchingkapazitäten von traditionellen Handelsplätzen abzuwickeln. Neue Implementierungen und Skalierbarkeitsverbesserungen dürften in der Zukunft aber grosse quantitative Verbesserungen mit sich bringen.
Wo sich das in die Jahre geratene traditionelle Finanzwesen von ihren dezentralen Marktstreiter allerdings wertvolle Inspiration abholen kann, ist beispielsweise in der Governance-Struktur, der Wandelbarkeit, Incentivierung, Demokratisierung des Angebotes und der Verfügbarkeit. Bei einer Dezentralen Börse (DEX) haben die Benutzer eine hohe Verantwortung, welche mit digitaler Selbstbestimmung belohnt wird. Ob ein Nutzer nur digitale Werte kaufen respektive verkaufen will oder ob er auch gleich im Orderbuch als Liquiditätsprovider partizipieren will, bleibt ihm überlassen. Im Gegensatz zu traditionellen Handelsplätzen findet der Kryptomarkt 24/7 statt. Das ist auch bei dezentralen Börsen der Fall.
Die Komfortfalle
Nach einem simplen Versprechen und mit möglichen Gewinnaussichten ist so mancher versucht die Chance an der Hand zu packen. Nur wenige konsultieren die AGB oder kümmern sich gar um die Datenschutzbestimmungen der zu installierenden Smartphone-App. Das Versprechen sich mit kleinem Geld einfach am Aktienhandel zu beteiligen, und vielleicht von den Gewinnen an der Börse zu profitieren, ist zu verlockend.
Gratis ist oft nicht kostenlos und kostenlos nicht immer kostenfrei, wie uns das beispielsweise Google und Facebook in den letzten Jahren vorgeführt haben. Freemium Angebote locken mit Gratisangeboten, nehmen sich aber oft das Recht, mit den erzeugten Daten zu wirtschaften. Vielmals wird dieses Recht mit einem bezahlten Angebot nicht entfernt und der Anbieter verdient doppelt an jedem User.
Demokratisierung der Finanzen für alle
Eine Finanz-App mit dem Namen Robinhood, bekannt als Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit, impliziert quasi von den Reichen zu nehmen, um den Armen zu geben. Doch es darf nicht vergessen werden, dass sie den sogenannten "Market Makern" im Hintergrund Echtzeit-Informationen über die Aktien, welche die Nutzer kaufen und verkaufen, weiterleiten. Eine Praxis, die einige Regulierungsbehörden und Branchenbeobachter schon vorher als potenziellen Interessenskonflikt betrachteten.
Robinhood und andere Broker können die Kauf-/Verkauf-Orders nicht direkt ausführen und sind daher gesetzlich verpflichtet, mit den Market Makern zusammenzuarbeiten, die ihren Brokern die besten Marktpreise für einen bestimmten Handel anbieten können. Wenn Robinhood eine Transaktion an eine dieser Drittparteien weiterleitet, erfährt der Market Maker, welches Wertpapier gekauft oder verkauft wird - das bevor der eigentliche Handel stattfindet.
Citadel: Bedeutender Market Maker
Wenn ein grosser Käufer eine Position aufbaut und anfängt zu kaufen, tendieren die Preise zu steigen, da es nur eine beschränkte Liquidität gibt. Ausserdem sind die Verkäufer oft schlau und wissen, dass sie die Preise erhöhen können, wenn jemand viele Aktien braucht. Kurz gesagt: Es ist profitabel, sich der Party anzuschliessen, wenn man weiss, was andere vorhaben.
Citadel und andere Market Maker zahlen Robinhood eine Gebühr für das Privileg, das ihnen Echtzeit-Informationen über Handelsmuster im Einzelhandel liefert. Citadel sagt, dass sie diese Informationen nutzen, um ihre Handelsalgorithmen zu verbessern.
High Frequency Trading - Frontrunning im Milisekundenbereich
Robinhood ist ein Fintech-Unternehmen, bei dem kostenlos Aktien gehandelt werden können. Die Kostenstruktur verschafft ihnen den Vorteil gegenüber Mitstreitern, welche eine Gebühr pro Handel berechnen müssen. Sie bekommen den Grossteil ihrer Einnahmen durch das Routing von Aufträgen zu Hochfrequenzhandelsfirmen (HFTs). Diese auf HFT spezialisierten Firmen "sehen" die aufgegebenen Kundenaufträge und kaufen oder verkaufen dieselbe Anzahl des Auftrages bereits am Markt um sie ein paar Einheiten höher dem Kunden abzurechnen.
Dies alles passiert anhand dem Einsatz leistungsfähiger Computerprogramme im Bereich von Milisekunden und kann von blossem Auge nicht erfasst werden. Der Hochfrequenzhandel profitiert also jedesmal wenn Kunden von Brokern welche ihre Orderflows an HFT weiterleiten und einen Auftrag an die Börse senden. Dieses Geschäft ist mehr oder minder risikolos, da die eingegangene Position Milisekunden später bereits dem Originalauftraggeber abgerechnet werden kann. Würde das auf manuellem Weg passieren und man von der Information eines Kauf- oder Verkaufsauftrages profitiert, ist es illegal und wird als sogenanntes Frontrunning geahndet.
Die Einnahmen, welche Robinhood Securities von den Drittmarktplätzen erhält, werden gemäss einer vollständig offengelegten Clearing-Vereinbarung mit Robinhood Financial LLC geteilt. Die Beträge pro Aktie stellen den Gesamtbetrag der von Robinhood Securities (Options Order Routing) erhaltenen Zahlungen dar.
Zahlungen variieren auf der Grundlage eines festen Prozentsatzes des Spreads des jeweiligen Handelsplatzes.
Bitcoin - ein neues System?
Den Weg für ein alternatives Finanzsystem bereitete Bitcoin mit seiner algorithmischen Geldpolitik. Im Gegensatz zur traditionellen Finanzwelt ist Bitcoin als Netzwerk zensurresistent und dessen Geldschöpfung nicht manipulierbar. Es entsteht eine echte, unverfälschte Zinskurve für das Asset Bitcoin (BTC), welche als Sicherheit (Collateral) in zahlreichen Finanzapplikationen des DeFi-Raumes Verwendung findet.
Mit einem Wallet werden die Kryptowerte eigenständig und selbstbestimmt gehandelt, gehalten oder sicher verwahrt. Über Smart Contracts können die gehaltenen Werte an dezentralen Börsen nicht nur direkt gehandelt, sondern der Besitz auch belehnt werden. Dies dürfte den Zinsen des alten Bankensystems nahe kommen. Im dezentralen Finanzsystem wird Liquidität benötigt, welche mit innovativen Instrumenten (DeFi) bereitgestellt werden. Die Kreditgeber werden vom Smart Contract entlöhnt, aber auch abgesichert.
Das Vertrauen liegt im Open Source Code des Anbieters, welcher (meist) seinen Programm-Code veröffentlicht. Dieser wird von Experten überprüft (Audit) und kann von allen möglichen Benutzern beurteilt werden. Sicherheitsexperten und Hacker werden über Bug Bounties eingeladen den Code zu knacken, bevor er öffentlich implementiert wird. Damit werden die meisten Fehler erkannt, bevor der Smart Contract aktiv eingesetzt wird. Trotzdem gibt es stets ein gewisses Risiko, Code ist so gut wie nie fehlerfrei.
Die Ära der Dezentralisierung
Mit der Dezentralisierung kann eine neue Ära beginnen und neben den Finanzen auch den Handel von Werten demokratisieren. Im dezentralen, zensurresistenten Handel wird der Markt (Angebot/Nachfrage) regieren. Selbstverständlich können Informationen und "Fake News" die Märkte immer noch unnatürlich bewegen. Zentralisierte Register sind jedoch anfälliger für Cyberangriffe, Betrug und Zensur, da es einen einzigen Fehlerpunkt gibt und die Nodes von ausgewählten Parteien betrieben werden.
Cryptocurrency has never had a better argument for its use
— Chairman (@WSBChairman) February 1, 2021
Das transparente (DLT) Register einer Blockchain ist verteilt auf Tausende Nodes, welche von jeder Person auf kostengünstiger Hardware betrieben und verbunden werden kann. In Zeiten schwindenden Vertrauens ist so mancher gewillt, die Verantwortung selbst in die Hand zu nehmen und sich am neuen System zu beteiligen. Die steigenden Kurse der Infrastruktur Token, Exchange-Währungen und die Abwanderung von Bitcoin-Guthaben an den Börsen könnten diesen Trend wiederspiegeln.
DeFi erfordert Open Banking
Die innovativen Finanzinstrumente im Bereich der dezentralen Finanzwelt (DeFi) stecken noch in den Anfängen und doch ergaben die riskanten Experimente schon vielsagende Ergebnisse. Das hat das Interesse einer grossen Masse geweckt, welche sich vom aktuellen Finanzsystem benachteiligt fühlt und nach einer Alternative sucht.
Dass dieser Trend Anklang findet, wird mit einem kurzen Blick auf die Daten offensichtlich. Der hinterlegte Gesamtwert in DeFi-Protokollen befindet sich auf Höchstständen und erreicht aktuell eine Summe von 40 Milliarden US-Dollar. Die effiziente Finanzwelt auf der Blockchain ist ausserdem per se Open Banking. Es erfordert keinen Mittelsmann, wenn sich jeder frei am Markt beteiligen kann.