Initiativen rund um digitale Zentralbankwährungen (CBDCs) schreiten im Zuge der Digitalisierung weltweit voran. An vorderster Front der Forschungsarbeiten befindet sich die Schweizerische Nationalbank (SNB), die bereits früh die Vor-/Nachteile der Blockchain-Technologie und darauf bauenden Währungen untersuchte.
2019 hat die Schweizerische Nationalbank erstmals ihre Meinung zum damaligen Stand von CBDCs geäussert und mit dem Infrastrukturanbieter SIX die Verwendung eines digitalen Frankens im nationalen Finanzsystem untersucht. Zwei Jahre später wurde die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Rahmen von "Projekt Helvetia" herbeigezogen, um Wertpapiertransaktionen mit digitalem Zentralbankgeld abzuwickeln. Dieses wurde unter dem Namen "Projekt Jura" auf grenzüberschreitende Zahlungen ausgeweitet. Heute besitzt die Schweizer Währungshüterin eine gute Übersicht zu den Nuancen der Technologie. Thomas Moser, stellvertretendes Mitglied des SNB-Direktoriums, erläutert im Gespräch mit CVJ.CH, wie die Zukunft des Geldes aus Sicht der Schweizerischen Nationalbank aussehen könnte.
CVJ.CH: Die Digitalisierung prägt unterschiedlichste Teile unserer Gesellschaft. Seit gut einem Jahrzehnt rückt auch die Digitalisierung von Währungen in den Vordergrund. Welche Veränderungen beobachtet die Schweizerische Nationalbank in dieser Transformationsphase?
Thomas Moser: An den Finanzmärkten ist die Digitalisierung schon weit fortgeschritten, sie hat sich in den letzten Jahren aber nochmals beschleunigt, insbesondere im Zahlungsverkehr. Transformationsphasen sind immer mit Risiken verbunden, weil Infrastruktur und Regulierung hinterherhinken und noch nicht alle Konsequenzen absehbar sind.
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) ist daher bemüht, die Entwicklung so zu begleiten, dass Stabilität und Sicherheit in Finanzsektor gewährt bleiben. Gleichzeitig nutzen wir die Möglichkeiten der Digitalisierung, indem wir zum Beispiel an den Finanzmärkten über die modernsten Handelsplattformen agieren und auch Algorithmen einsetzen. Die SNB gehört hier zu den Vorreiterinnen unter den Zentralbanken. Im bargeldlosen Zahlungsverkehr bemühen wir uns darum, das zentrale Zahlungssystem der Schweiz, das die SIX Interbank Clearing AG im Auftrag der SNB betreibt, auf dem neusten Stand zu halten.
Wie hängt die Entwicklung der Blockchain-Technologie mit diesen Entwicklungen zusammen?
Um ein Finanzmarktgeschäft abzuschliessen, braucht es heute mehrere, separate Plattformen. Neben der Handelsplattform braucht es eine Clearing-Plattform, um ein Geschäft abzuwickeln und je eine Plattform zur Übertragung der Vermögenswerte und eine Plattform zur Überweisung des Geldes. Mit Hilfe der Blockchain-Technologie können diese Schritte zusammengelegt und auf eine «Plattform» gebracht werden. Dies erlaubt Effizienzgewinne und mehr Automatisierung, insbesondere wenn sowohl die Vermögenswerte als auch das Geld in digitaler Form auf der gleichen Plattform vorliegen.
Welchen Herausforderungen stehen Zentralbanken angesichts der zunehmenden Adoption von Kryptowährungen wie Bitcoin gegenüber?
Bitcoin ist interessant, weil es die Blockchain-Technologie nutzbar gemacht hat. Bitcoin und andere Kryptowährungen sind aber nicht wirklich eine Herausforderung für Zentralbanken, weil sie eine extrem hohe Preisvolatilität aufweisen und sich daher schlecht als Zahlungsmittel und damit als Geld eignen. Bitcoin ist eher eine spekulative Anlage, wie Gold oder andere Rohstoffe. Aus diesem Grund übernehmen auf der Blockchain Stablecoins die Funktion des Geldes. Stablecoins sind aber in Fiat- bzw. Zentralbankwährung denominiert, sie bauen nicht auf Kryptowährungen sondern auf Zentralbankgeld auf und brauchen daher Zentralbanken. Stablecoins sind deshalb mit dem Buchgeld kommerzieller Banken vergleichbar und infolgedessen kaum eine neue Herausforderungen, abgesehen von regulatorischen Fragen.
Welche Auswirkungen wird die Einführung von CBDCs auf das gegenwärtige Finanzsystem haben?
Die Auswirkungen hängen von der Art der CBDC und vom Design ab. Eine Sorge ist, dass CBDCs dem Buchgeld der Geschäftsbanken Konkurrenz machen könnte und Geschäftsbanken im hohen Ausmass Kundengelder verlieren könnten, entweder permanent oder zumindest in Zeiten hoher Unsicherheit. Je mehr CBDCs in ihrer Funktionalität den Sichtguthaben von Banken ähneln, desto grösser dieses Risiko.
Eine sogenannte wholesale CBDC (wCBDC), die nicht der breiten Bevölkerung sondern nur regulierten Finanzinstituten zugänglich wäre, hätte dagegen kaum unmittelbare Auswirkungen. Es würde dem gegenwärtigen Finanzsystem aber die sichere Nutzung der Blockchain erlauben.
Welche Faktoren haben zur jüngsten Beschleunigung der weltweiten Bemühungen um CBDCs beigetragen, insbesondere in der EU?
Neben dem besseren Verständnis der Blockchain-Technologie wahrscheinlich auch das Aufkommen von Blockchain-basierten Finanzmarktinfrastrukturen wie SIX Digital Exchange (SDX) und das rasante Wachstum von Stablecoins. Sollte Blockchain-Technologie für Finanztransaktionen bedeutsam werden, wäre es angebracht, auch Zentralbankgeld auf der Blockchain verfügbar zu haben. Zentralbankgeld ist die einzige risikolose Geldform, das heisst die einzige Geldform ohne Kredit- und Liquiditätsrisiko, und somit das sicherste und bevorzugte Zahlungsmittel für systemisch bedeutsame Zahlungen. Die Sorge um eine mögliche digitale Dollarisierung hat aber in einigen Ländern vermutlich ebenfalls mitgespielt. Die Mehrheit der heute verwendeten Stablecoins sind in US-Dollar denominiert.
Ist eine Koexistenz zwischen Stablecoins und CBDCs für die Schweizerische Nationalbank denkbar?
Im gegenwärtigen Finanzsystem gibt es bereits eine Koexistenz von Zentralbankgeld und privatem Geld (Bankguthaben) und der weitaus grösste Teil der Zahlungen wird mit privatem Geld durchgeführt. Auf der Blockchain ähneln Stablecoins dem Buchgeld der Banken im traditionellen Finanzsystem, insofern ist eine Koexistenz von CBDC und Stablecoins durchaus vorstellbar. Voraussetzung dafür wäre aber, dass sich CBDC und Stablecoins hinsichtlich Funktionalität oder Komfort unterscheiden. Stablecoins müssen gegenüber CBDCs einen Mehrwert bieten, damit Kunden nicht ausschliesslich konkurssichere CBDCs halten und verwenden.
Was ist die Position der Schweizerischen Nationalbank zur CBDC-Thematik und welche Entwicklungen verfolgt die SNB in diesem Bereich?
Die SNB plant zurzeit nicht, einen sogenannte Retail CBDC (rCBDC), also ein CBDC für die breite Bevölkerung, herauszugeben. Wir experimentieren allerdings intensiv mit wholesale CBDCs (wCBDC), also einem CBDC der nur den regulierten Finanzmarktinstituten zur Verfügung steht, so wie heute Konten bei der SNB. In der Schweiz, wo mit SDX bereits eine regulierte, Blockchain-basierte Börse existiert, ist die Frage, ob es eine wCBDC braucht nicht nur von theoretischer, sondern bereits von praktischer Relevanz. Die Berichte zu unseren wCBDC Experimenten – den Projekten Helvetia und Jura – haben wir publiziert. Dort haben wir die technische Machbarkeit aufgezeigt. Zurzeit vertiefen wir diese Arbeiten. So werden wir noch dieses Jahr für ausgewählte Transaktionen echte wCBDC auf SDX ausgeben.
Wie beurteilt die SNB die Vor- und Nachteile von programmierbarem Zentralbankgeld und welche Faktoren überwiegen aus Sicht der Schweiz?
Programmierbares Zentralbankgeld, also Zentralbankgeld mit eingebauten Regeln und entsprechenden Nutzungsbeschränken, ist ein sehr umstrittenes Thema. Einerseits könnte es sowohl für Zentralbanken als auch für die Gesellschaft interessante Möglichkeiten bieten; es könnte die Effizienz der Geldpolitik erhöhen, es könnten zusätzliche Sicherheitseigenschaften eingebaut werden oder es könnten vielleicht sogar Hilfen für Sehbehinderte oder für Menschen mit Dyskalkulie programmiert werden.
Andererseits widerspricht die Einschränkung der Verwendbarkeit einer wesentlichen Eigenschaft des Geldes. Zudem würde programmierbares Zentralbankgeld die Komplexität und damit wahrscheinlich auch die Fehleranfälligkeit und Kompromittierbarkeit von CBDCs erhöhen. Die SNB hat hierzu noch keine definitive Position. Programmierbarkeit könnte aber eine dieser Funktionalitäten sein, die eher von privaten Stablecoin-Anbietern als von der Zentralbank angeboten werden.
Was sind die grössten Herausforderungen bei der Ausgabe digitaler Währungen in Form von CBDCs?
Auf der technischen Ebene sind die grössten Herausforderungen die Gewährleistung der Sicherheit, die Skalierbarkeit und der angemessene Schutz der Privatsphäre. Genau wie eine Banknote muss eine CBDC absolut fälschungssicher sein. Die SNB testet zurzeit zusammen mit dem Schweizer Zentrum des BIS Innovation Hub alle drei Aspekte im Rahmen des Projekts Tourbillon. Neben der technischen Ebene gibt es aber auch offene rechtliche Fragen und Fragen bezüglich der Governance beim Betreiben einer entsprechenden Infrastruktur. Bei diesen Fragen gibt es nicht ein richtig oder falsch, es braucht aber Antworten und allenfalls neue gesetzlichen Grundlagen.
Welche Auswirkungen könnten CBDCs auf die finanzielle Integration haben und wie planen Notenbanken sicherzustellen, dass alle Mitglieder der Gesellschaft Zugang zu diesen digitalen Währungen haben?
Wichtig ist, dass alle Mitglieder der Gesellschaft Zugang zu Geld und sicheren Zahlungsmöglichkeiten haben, das muss aber nicht zwingend ein CBDC sein. Im Falle eines wCBDC hätten nur regulierte Finanzinstitute Zugang, genauso wie heute zu Konten bei der Nationalbank. Zugang zu digitalem Geld müsste dann wie heute der Privatsektor bieten, auf der Blockchain zum Beispiel über Stablecoins. In letzter Zeit haben mehrere Banken Interesse an der Ausgabe von Stablecoins angemeldet, wobei Banken lieber von tokenisiertem Buchgeld als von Stablecoins sprechen. Die SNB wird aber auch in Zukunft weiterhin Bargeld anbieten. Bargeld ist ausserdem eine ideale Offline- und Backup-Lösung, falls kein Internet oder sogar kein Strom zur Verfügung steht. Digitale Offline-Lösungen sind viel weniger sicher.
Wie beabsichtigt die SNB, mit anderen Zentralbanken und internationalen Organisationen zusammenzuarbeiten, um eine kohärente Strategie bei der Digitalisierung von Währungen sicherzustellen?
Bei der Digitalisierung von Währungen gibt es viel Raum für nationale Strategien, insofern ist eine internationale Koordination nicht zwingend. Die SNB ist aber in den relevanten internationalen Gremien, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, vertreten (BIZ, FSB, IWF). Koordination ist am ehesten bei Regulierungsfragen nötig, ansonsten geht es vor allem auch darum, Informationen auszutauschen und voneinander zu lernen.
In den letzten Jahren wurden erhebliche Fortschritte bei der Entwicklung von Quantencomputern gemacht. Die heute üblichen kryptographischen Protokolle, die zur Sicherung von Finanztransaktionen verwendet werden, würden einem Angriff durch Quantencomputer nicht standhalten. Was bedeutet das für CBDCs?
Das ist tatsächlich eine Gefahr und es ist nicht auszuschliessen, dass staatliche Akteure bei der Entwicklung von Quantencomputern schon weiter fortgeschritten sind, als öffentlich bekannt ist. Die SNB adressiert diese Herausforderung im Projekt Tourbillon. Zusammen mit dem Schweizer Zentrum des BIS Innovation Hubs entwickeln wir einen CBDC-Prototypen, der Angriffen von Quantencomputern standhalten würde. Dazu verwenden wir post-quantensichere Kryptographie für die digitalen Signaturen aber auch zur Sicherung des gesamten Systems. Wir gehen davon aus, dass wir den Projektbericht und den Quellcode im Herbst veröffentlichen können.
Der dezentrale Finanzbereich (DeFi) verspricht, ohne Finanzintermediäre und zentrale Instanzen wie Zentralbanken auszukommen. Wie steht die SNB dieser Entwicklung gegenüber? Ist das eine Gefahr für den traditionellen Finanzsektor und Zentralbanken?
Im Bereich Decentralized Finance (DeFi) gibt es sehr interessante Innovationen, die auch für den traditionellen Finanzsektor interessant sein und von Banken zur Effizienzsteigerung genutzt werden könnten. Die SNB hat zurzeit selbst ein Projekt namens Mariana, bei welchem wir zusammen mit den Zentralbanken von Singapur und Frankreich auf experimenteller Basis Automated Market Makers (AMMs), wie sie von den Decentralized Exchanges Uniswap oder Curve verwendet werden, zum Handel mit wCBDC nutzen. Die Erfahrung zeigt, dass die Mehrheit der Kunden sehr gerne mit Intermediären zusammenarbeitet, weil diese Dienstleistungen anbieten, die von den Kunden geschätzt werden. Und wie das Beispiel von Stablecoins zeigt, werden auch die Preisstabilität von Fiatgeld und damit Zentralbanken auf der Blockchain geschätzt. Decentralized Finance ist aber sicher sehr innovativ und bringt zusätzlichen Wettbewerbsdruck für den traditionellen Finanzsektor.
Thomas Moser ist seit 2010 stellvertretendes Mitglied des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank. Davor war er Exekutivdirektor beim Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington D.C. Thomas Moser ist zudem Gastprofessor an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern und Mitglied der Geschäftsleitung des Schweizerischen Instituts für Banken und Finanzen an der Universität St. Gallen. Thomas Moser verfügt über einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften der Universität Zürich.