Als Krypto-Ventureberater und ehemaliger Blockchain-Leiter bei Bitkom ist Patrick Hansen aufgrund seiner Expertise im Bereich Krypto-Regulierung sehr gefragt. Im Gespräch mit CVJ.CH äussert er sich zu den Problemen, die sich aufgrund der jüngsten Entwicklungen in Bezug auf Regulierung auftürmen.
Mit dem Auf und Ab des Kryptosektors häufen sich die Forderungen, Kryptowährungen und DeFi einer strengeren Regelung zu unterwerfen. Nach dem jüngsten Zusammenbruch des Terra-Ökosystems wurden diese Stimmen sowohl in Amerika als auch in der EU lauter. Neue Rechtsvorschriften beträfen insbesondere Stablecoins, Kryptowährungen im Allgemeinen, das Metaversum sowie NFTs und DeFi-Unternehmen.
CVJ.CH: Wie sehen Sie den aktuellen Stand der Krypto-Regulierung und wohin geht die Reise?
Patrick Hansen: Alle grossen Rechtsordnungen der Welt haben mittlerweile konkrete Pläne für umfassende Krypto-Regulierungen. Und wie so oft ist die EU ein Vorreiter, der die Standards setzt. In den nächsten Monaten wird die wegweisende MiCA-Verordnung in Kraft treten und ab 2024 für die meisten Unternehmen gelten. In den USA ist das Krypto-Gesetz von Lummis und Gillibrand ein erster Versuch. Der Gesetzesentwurf zielt drauf ab, ein umfassendes und reguläres Paket für diesen Bereich zu schaffen. Ich gehe davon aus, dass Kryptowährungen in einigen Jahren weltweit reguliert sein werden. Ich erwarte des Weiteren, dass Kryptowährungen für viele Regierungen zu einem zentralen Thema werden.
Der Fokus der meisten Regulierungsbehörden scheint auf Stablecoins zu liegen. Warum ist das so und welche Bedenken müssen die Stablecoin-Emittenten zuerst ausräumen?
Hierfür gibt es mehrere Gründe. Einer davon ist, dass viele Politiker und Aufsichtsbehörden für Stablecoins im Vergleich zu Krypto-Vermögenswerten wie Bitcoin grössere Chancen auf Erfolg und massenhafte Verbreitung sehen. Daher werden Stablecoins oft mit höheren Finanzstabilitäts- und Währungssubstitutionsrisiken behaftet; zumindest im Moment. Die Regulierungsbehörden sind verständlicherweise nicht bereit, ein auf Stablecoins basierendes Fiat-Finanzsystem ohne ihre Aufsicht zu systemischer Bedeutung heranwachsen zu lassen.
Abgesehen davon bin ich der Meinung, dass Stablecoins näher an traditionellen regulierten Finanzdienstleistungen wie der Ausgabe von E-Geld sind. Das vereinfacht es bis zu einem gewissen Grad, regulatorische Anforderungen im Gegensatz zu völlig neuen Phänomenen wie Bitcoin oder Ethereum festzulegen.
Was denken Sie über die jüngsten Entwicklungen eines digitalen Euros?
Um ehrlich zu sein, ist mir immer noch nicht ganz klar, was genau das Ziel der EZB mit einem von der Zentralbank ausgegebenen digitalen Euro ist. Ob er eine Art digitales Bargeld oder eher eine neue digitale Zahlungsmöglichkeit werden soll. Deshalb kann ich zum jetzigen Zeitpunkt das Projekt und seine Fortschritte nicht wirklich bewerten. Wenn die EZB einen bargeldähnlichen, anonymen digitalen Inhaberwert ausgeben würde, fände ich das wahrscheinlich gut. Die anderen Optionen erscheinen mir zum jetzigen Zeitpunkt nicht sehr überzeugend.
Grundsätzlich bin ich bezüglich von der Regulierungsbehörde geleiteten privaten Unternehmen der Ansicht, dass sie einen Vorteil gegenüber der Zentralbank haben. Sie sind besser dazu geeignet und können eher Innovationen in unser derzeitiges Finanzsystem bringen. Die Wettbewerbsvorteile der Zentralbank sind Belastbarkeit und Vertrauen. Im Gegensatz dazu ist der private Sektor gut darin, die Anforderungen der Verbraucher zu erfüllen und Finanzinnovationen zu liefern.
Wo steht die EU in Bezug auf die Krypto-Regulierung im Vergleich zu den USA und Asien?
Die EU ist wohl oder übel der eindeutige weltweite Vorreiter in Sachen Krypto-Regulierung. Sie verfügt über ein umfassendes Regelwerk für Emittenten und Dienstleister (Börsen, Verwahrer usw.), das in Kürze in Kraft treten wird. Es könnte Jahre dauern, bis die USA an diesem Punkt angelangt sind. Ich bin kein Experte für die Herangehensweise der meisten asiatischen Länder im Bereich der Kryptowährungen. Ich vermute bei Ländern wie Singapur oder Südkorea sind eher spezifisch zugeschnittene Regulierungsinitiativen vorhanden. Diese zum Beispiel im Zusammenhang mit Token-Angeboten anstatt eines umfassenden Gesamtrahmens, der sich von Regeln für Kryptobörsen bis hin zu solchen für Stablecoin-Emittenten erstreckt.
Könnten Sie die Travel Rule erklären und was sie für den Kryptobereich bedeutet?
Dies ist ein ziemlich komplexes Thema. Ich lade jeden gerne ein, einen Blick auf einen meiner längeren Beiträge zu werfen. Der Thread wurde vor einigen Monaten veröffentlicht und in diesem beschreibe ich wie die FATF Travel Rule funktioniert. Im Wesentlichen erweitert die Travel Rule die AML- und CFT-Verpflichtungen (Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung) auf Kryptowährungstransfers im Wert von 1'000 Dollar oder mehr und gilt für Virtual Asset Service Providers (VASPs) wie Kryptowährungsbörsen. Sie verpflichtet die betreffenden Finanzinstitute, bestimmte Kunden- und Transaktionsinformationen an das nächste Finanzinstitut weiterzugeben.
Für Kryptowährungen spielt dies eine ausschlaggebende Rolle. Börsen, Verwahrstellen usw. müssen Kundeninformationen austauschen, wenn diese Kunden untereinander Kryptowährungen handeln. Dies stellt die Marktteilnehmer vor eine Vielzahl technischer (wie werden diese Daten ausgetauscht), datenschutzrechtlicher und betrieblicher Herausforderungen. Unternehmen wie Coinbase und andere haben bereits neue Messaging-Plattformen wie TRUST eingeführt. Dadurch könnten die neuen Anforderungen erfüllt werden. Da die Travel Rule verbindlich ist, erwarte ich, dass sich diese Entwicklung beschleunigen wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird in 12 bis 24 Monaten fast jedes Land die Travel Rule in der einen oder anderen Form umgesetzt haben.
Wie passt dies mit dem EU-Rahmen für Krypto-Assets-Märkte (MiCA) zusammen?
MiCA berührt die AML-Vorschriften für CASPs nur kurz. Die Verordnung über Geldtransfers (TFR) ist die Verordnung, mit der die FATF Travel Rule auf EU-Ebene umgesetzt wird. Zusammen werden MiCA und TFR die wichtigsten regulatorischen Rahmenbedingungen für Kryptounternehmen in der EU sein.
Würden Sie eine strenge Regulierung von Krypto-Anwendungen als notwendiges Übel bezeichnen oder behindert sie die Akzeptanz der Blockchain-Technologie?
Regulierung kann Rechtssicherheit, Vertrauen und Akzeptanz schaffen. Vor allem bei institutionellen Akteuren kann dies der Fall sein. Andererseits kann sie aber auch hohe Hürden für den Markteintritt schaffen und Innovationen abwürgen, wenn sie schlecht umgesetzt wird. Es kommt also auf die konkreten Regulierungsinitiativen an. Es muss das richtige Gleichgewicht gefunden werden. Insgesamt denke ich, dass globale Regulierungsinitiativen weitgehend positiv für den Kryptobereich sind. Sie schaffen die Rechtssicherheit, die Institutionen brauchen, um sich in diesem Bereich zu engagieren. Darüber hinaus werden sie die Standards festlegen, die hoffentlich einige der schlimmsten Betrugsfälle verhindern werden (die wir bereits erlebt haben). Ich sehe keine Möglichkeit, wie Kryptowährungen eine kritische Masse erreichen könnten, ohne dass es klare regulatorische Regeln und Aufsicht gibt. Ein entscheidender Faktor wird jedoch die Umsetzung dieser Regeln sein.
Wie wird der regulatorische Rahmen Ihrer Meinung nach in 3-5 Jahren aussehen?
Wie bereits erwähnt: Ich denke in 3-5 Jahren wird es einen klaren regulatorischen Rahmen für Kryptounternehmen und Investoren auf der ganzen Welt geben. Sei es aus der Perspektive des Anlegerschutzes, der Geldwäschebekämpfung oder der finanziellen Stabilität. Wie so oft bei reifenden Branchen bin ich auch hier der Überzeugung, dass Regulierung und Compliance für die meisten grösseren Unternehmen zu einem Wettbewerbsvorteil wird. Die bestehenden Unternehmen verfügen über die notwendigen Ressourcen, um sich in dieser zunehmend komplexen Regulierungslandschaft zurechtzufinden.
Meiner Ansicht nach wird sich der Markt unabhängig von der spezifischen Krypto-Nische (Stablecoins, Depotbanken usw.) weiter konsolidieren. Ich bin der Überzeugung, dass Institutionen wie die G20 und andere auf globaler Ebene grosse Anstrengungen unternehmen werden. Ihr Ziel besteht darin, die Regulierungsansätze zu harmonisieren und gegen Regulierungsarbitrage vorzugehen. Der Schwerpunkt wird sich zunehmend auf die globale Koordination und Durchsetzung verlagern. Zweifelsohne wird die Regulierung von Kryptowährungen im kommenden Jahrzehnt eine grosse Rolle spielen und es würde mich nicht überraschen, wenn das Thema von Staatsoberhäuptern auf höchster Ebene diskutiert wird.
Patrick Hansen ist Krypto-Ventureberater bei Presight Capital, einem globalen Venture-Fonds mit über 600 Mio. USD an verwalteten Vermögenswerten (AuM) und mehr als 50 Startups in ihrem Portfolio. Davor arbeitete er als Leiter für Strategie und Geschäftsentwicklung beim Krypto-Wallet-Startup Unstoppable Finance. Unter anderem arbeitete er auch als Leiter des Bereichs Blockchain bei Bitkom, Europas grösstem Tech-Verband. Dort war er für die Regulierung von Kryptowährungen, Forschung und Partnerschaften zuständig. Patrick hat einen Master-Abschluss in Wirtschaft und Politikwissenschaft.