Corona hat weltweit Veränderungen mit sich gebracht. Verändert haben sich beispielsweise Themen wie Wertschöpfung, Liquidität und Menschsein. Karen Wendt und Petra Streit appellieren vor allem an Führungskräfte, agiler zu handeln und eine partizipative Unternehmenskultur zu fördern.
Die Coronakrise hat die Mehrheit der Schweizer Firmen unerwartet erwischt. So schreibt zum Beispiel Digital Switzerland in den fünf Fortsetzungen der digitalen Transformation unter anderem, dass Covid für die Firmen ein digitaler Stresstest war. Bei Digital Switzerland tönt das so: wir brauchen neben der digitalen Infrastruktur einen Raum der Ideen, eine digitale Wissensgesellschaft und neue Beziehungen.
Viele Unternehmen warten die Krise ab
Doch wo stehen die KMUs der Schweiz in diesem Ökosystem? Viele Firmen konnten sich die finanzielle Liquidität rasch sichern und mussten so nicht gleich Apriori Insolvenz anmelden. Jedoch: was nun? Ein grosser Teil der Unternehmen, die durch die Auswirkungen von COVID-19 in eine Krise gestürzt worden sind, warten jetzt ab. Sie warten darauf, bis die Krise vorbei ist, bis sich die Wirtschaft erholt hat und sie weiterfahren können.
Darin verbergen sich zwei fundamentale Irrtümer:
- Zuerst die Annahme, die Zukunft wird so sein, wie die Vergangenheit war. Dies äussert sich in der Vermutung, wenn die Coronakrise vorbei ist, wird man einfach "weiterfahren" können.
Dieses lineare Denken hilft, um Stabilität zu bewahren, jedoch fragen wir: Wird es für die Unternehmen einen Prozess geben (müssen), der ausgelöst durch diese Krise, von der alten zu einer neuen Stabilität führt, also zu einem Transformationsprozess? Wenn ja, dann ist Warten eine sehr schlechte Option und bringt die Firmen keinen Deut weiter.
- Die Sehnsucht nach Stabilität ist verständlich. Der zweite Irrtum besteht darin zu glauben, dass die Komplexität unserer Welt komplexe Lösungen verlangt. Das ist der Irrtum, der dazu geführt hat, dass auf jedes komplexe Problem eine noch komplexere Lösung gefunden wird. Und davor haben Unternehmen (zu Recht) Sorge. Dieser Trend ist verbreitet in Gesellschaft und Politik. Das Gesetz von W. Ross Ashby besagt, dass ein System, welches ein anderes steuert, umso mehr Störungen in dem Steuerungsprozess ausgleichen kann, je grösser seine Handlungsvarietät ist. Richtig ist, dass es in Krisen wichtig ist, so viele unterschiedliche Perspektiven einnehmen zu können, wie möglich.
Lineares Denken ist nicht der richtige Ansatz
Die Autoren haben das Buch von Ashby „Einführung in die Kybernetik“ schon vor langer langer Zeit fasziniert gelesen. Jedoch stammt Ashbys Ansatz aus der Spieltheorie und der liegen wiederum mathematische Simulationsmodelle zugrunde. Und woher kommen die Zahlen zu diesen Simulationsmodellen? Richtig, aus der Vergangenheit. Also wiederum lineares Denken, das ist aber in Zeiten von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (VUKA) eben nicht der richtige Ansatz. VUKA ist übrigens ein Begriff, der durch das amerikanische Militär im Kambodscha-Krieg geprägt wurde und nun seinen Eingang ins agile Management gefunden hat. Denn Entscheidungen unter Unsicherheit kommen aus dem von Kahnemann so oft zitierten: Unknown Unknows und für die gibt es keine Eintrittswahrscheinlichkeiten. Es ist also das U für Unsicherheit, das uns zwingt, einfache Lösungen zu finden.
In Enjoy Projects schreibt der Autor Gerhard Friedrich: Würde man Ashby’s Gesetz so interpretieren, wie es alle mir bekannten Business-Autoren tun, dann müsste ein komplexes, durch Vielfalt an möglichen Ergebnissen gekennzeichnetes Projekt durch eine entsprechend komplexe Projektorganisation bewältigt werden. Erkennt man Abweichungen vom Plan, so wird darauf mit noch komplexeren Strukturen und Prozessen reagiert, denn: Nur mit Komplexität kann man Komplexität beherrschen, so Ashby. Aber: Damit tappen wir doch genau in die Falle, die Paul Watzlawick in seiner „Anleitung zum Unglücklichsein“ so treffend beschrieben hat: „Mehr desselben“.
Paul Watzlawick sieht darin „eines der erfolgreichsten und wirkungsvollsten Katastrophenrezepte, das sich auf unserem Planeten im Laufe der Jahrmillionen herausgebildet und zum Aussterben ganzer Gattungen geführt hat".
Oft ist es auch diese wahrgenommene Komplexität, die uns warten und hoffen lässt. Vielleicht wird ja doch alles von selber wieder gut.
Um also die Antwort auf unsere Eingangsfrage gleich vorwegzunehmen: Ja wir glauben, es braucht einen Transformationsprozess.
Zu komplex? Lassen Sie es uns für das KMU herunterbrechen.
Der Mensch, das biologische Wesen
Zuerst einmal: Ja, wir stecken in einer Krise. Das merkt man daran, dass Voraussagbarkeit, Eintretenswahrscheinlichkeit, Entscheidungssicherheit, Auswirkungen von Massnahmen und vieles mehr in chaotischem und stetig wechselndem Zusammenhang zueinander stehen. Eine klassische VUKA Umwelt eben.
Dann lassen Sie uns mal die einzige Konstante in diesem System betrachten: das Lebewesen Mensch. Von einem Tag auf den anderen wurden wir aus unserem Alltagstrott, aus unserer Komfortzone gerissen und ins Homeoffice verbannt. Was lange Zeit in vielen Firmen als nicht machbar, ja unmöglich galt, war plötzlich möglich, ja notwendig. Nicht, dass es einfach gewesen wäre. Viele hatten mit der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben grosse Mühe und mussten dafür viel Energie aufwenden. Und sie waren auf sich alleine gestellt. Die unmittelbare Führung, der direkte Austausch mit den Kollegen waren plötzlich weg. Klar, man hat sich regelmässig(er) am Bildschirm gesehen. Jedoch waren diese verzuckelten Kopf- bis Brust-Bilder, die nicht mit dem Ton übereinstimmten, nicht wirklich das Wahre.
Wir sind halt was wir sind: Menschen. Und als solche wollen wir die direkte Interaktion. Wir wollen die Gestik sehen, die Mimik wahrnehmen, die Emotionen spüren. Das ist zutiefst biologisch und entspricht unserem Wesen – es ist für uns ein MUSS. Von daher, spricht das alles für die Rückkehr zur Normalität, die Rückkehr zur unmittelbaren Interaktion mit anderen Menschen. Und hierzu können wir die menschliche Komponente für die Zukunft maximal nutzen: Wir können für unser Business ein Ökosystem bauen. Das heisst, dass, wie weiter unten ausgeführt, wir nicht nur an uns, sondern an die gesamte Wertschöpfungskette denken. Und weiter hat die Krise auch gezeigt: Wir müssen unser Ökosystem um eine digitale Komponente ergänzen, ein digitales Ökosystem, das unser menschliches, auf direktem Kontakt aufgebautes, Ökosystem stärkt und stützt. Und das führt uns gleich zu unserem nächsten Punkt.
Leadership nach dem Homeoffice
Was für Menschen kommen jetzt aber zurück an den Arbeitsplatz? Von vielen wurde ein hohes Mass an Selbständigkeit und Selbstverantwortung verlangt. Viele haben den durch das Homeoffice ermöglichten hohen Grad an Arbeitsflexibilität und Zeitmanagement zu schätzen gelernt. Können diese Mitarbeitenden wieder wie vorher geführt bzw. gemanaged werden? Glauben wir an den Satz von Ashby (noch komplexere Kontrollsysteme) oder an unser Menschsein und unsere menschliche Vernunft, die es uns erlaubt, die Dinge einfach zu gestalten?
Und dann ist es wie beim Tango: Wenn einer der Partner (Mitarbeitende) neue Schritte tut, muss ich als Chef ebenfalls neue Wege beschreiten.
Ja, die Führung muss sich ändern. Sie muss agil werden. Dies hauptsächlich aus zwei Gründen:
- So wie die Wirtschaft nach Corona nicht mehr dieselbe sein wird, sind die Mitarbeitenden, die wieder ins Büro kommen nicht mehr dieselben. Sie haben einschneidende Erfahrungen gemacht. Sie mussten sich mit sich selber auseinandersetzen. Sie haben eine Entwicklung durchlaufen. Viele wollen jetzt anders partizipieren.
- Die Firmen müssen eine Entwicklung durchlaufen. Wie zuvor ausgeführt: Warten ist keine Option, denn wenn alle warten bewegt sich nichts. Wollen wir unsere Wirtschaft (ja, es ist unsere Wirtschaft) wieder in Gang bringen, so müssen wir uns alle bewegen. Wir müssen uns als Unternehmen und als Gemeinschaft der zusammenarbeitenden Firmen weiterentwickeln, ein flexibles menschliches und digitales Ökosystem gestalten.
Dafür braucht es Agilität. Sie wissen ja, was Agilität bedeutet? Es heisst, eine Organisation initiativ, proaktiv und antizipativ weiterzuentwickeln. Also eine begonnene Entwicklung, sei sie gesellschaftlich, technologisch, sozial usw. vorwegzunehmen. Um diese Entwicklung nachhaltig erfolgreich und mit Ihren Mitarbeitenden zu gestalten, benötigen Sie agile Führung. In der Unternehmenspraxis heisst das für die Führungskräfte: Aus Kontrolle wird strategische Voraussicht, Integration und Dienen. Wieso Dienen? Weil eine Führungskraft nicht alleine alles voraussehen kann oder muss.
Aufgabe der Führungskräfte ist also die Unterstützung der operativ Arbeitenden, die Aufforderung an die Mitarbeitenden, der interne Unternehmer im Unternehmen zu sein, das Unternehmen mithilfe der Führung weiterzuentwickeln, denn am Ende erbringen die Mitarbeitenden die Leistung und partizipieren am Ideenraum. Die Mitarbeitenden in die Verantwortung zu nehmen, die prospektive Entwicklung mitzugestalten, ist also das Gebot der Stunde. Selbstverständlich ist das aufwändig für die Führung. Doch die Mitarbeitenden – die Human Resources haben sich wieder darauf besonnen, dass sie Human Beings sind – sie können nicht mehr einfach gemanaged werden. Man muss sich mit diesen Mitarbeitenden, dem grössten Asset im Unternehmen, aktiv auseinandersetzen. Es lohnt sich!
Die agile Kultur
Wie führe ich jetzt aber agil? Wie beziehe ich die Belegschaft in eine prospektive Unternehmensentwicklung mit ein? Denn eine Entwicklung müssen wir jetzt durchlaufen, sonst leiden wir viel zu lange an den Auswirkungen von COVID-19. Damit Sie die Mitarbeitenden partizipieren lassen können, benötigen Sie eine agile Kultur. Was bitte ist das denn jetzt? Kultur ist das, was uns prägt. Eine agile Kultur in einem Unternehmen setzt sich mit der Umwelt aktiv auseinander, diskutiert intern Trends, hat den Blick in die Zukunft gerichtet und bezieht die Mitarbeitenden in die prospektive Unternehmensentwicklung mit ein. In der Finanzindustrie sowie der politischen Ökonomie spricht man hier von der Kipppunktanalyse (Leverage Point Analysis). Für die Unternehmenspraxis bedeutet das: Die Kontroll- und Politikinstrumente treten in den Hintergrund. Transparenz und eine offene Diskussionskultur prägen die Organisation, denn nur so finde ich rechtzeitig die Kipppunkte. So haben z.B. Investoren, die Nowcasts und Kipppunktanalyse betreiben, im März dieses Jahres kein Geld verloren.
Eine Firma mit einer agilen Kultur schaut sicher nicht nur auf die Konkurrenz und reagiert auf deren Aktionen. Eine solche Firma hat sich von der Konkurrenz gelöst und agiert vorausschauend, ist am Puls der Zeit und ist offen für Neues. Eine agile Kultur ist die Voraussetzung für agiles Verhalten im Allgemeinen. Nicht dass jetzt der Eindruck entsteht, jedes Unternehmen müsse sich im Zuge der Covidkrise neu erfinden oder sich umkrempeln. Diese Art zu denken und zu handeln soll dafür verwendet werden, sich aus dem Wartezimmer von Covid zu bewegen.
Raus aus dem Wartezimmer
Denkt eine Firma in dieser Krise agil, so denkt sie unter anderem an die Geschäftspartner entlang ihrer Wertschöpfungskette. Sie denkt an Zulieferer, an Kunden, an weitere beeinflussende Elemente dieser Wertschöpfungskette. Beginnen Sie miteinander zu sprechen, so verstehen Sie die z.T. sehr unterschiedlichen Herausforderungen der Geschäftspartner. Und dies kann der Startpunkt für den gemeinsamen Weg aus der Starre, aus dem Wartezimmer von Corona sein. Sie, die Sie diese Entwicklung, dieses Zusammenraufen angerissen haben, können sich so als zuverlässigen, vorausschauenden Partner in Ihrer Wertschöpfungskette positionieren. Man anerkennt Sie als treibende Kraft, als Kondensationspunkt für neue Entwicklungen. Im Endeffekt hat diese Initiative einen ausserordentlich positiven Einfluss auf Ihre Reputation. Und die ist unbezahlbar.
Gemeinsam können Sie so als "Schicksalsgemeinschaft" Perspektiven erarbeiten. Denn dies ist genau das, was uns zurzeit fehlt: Denken in Ökosystemen und Entwicklung von Perspektiven. Wissen alle beteiligten Partner erst einmal wo es zum Wartezimmer raus geht, entsteht eine grosse Dynamik. Die Energie, die bis dato gefehlt hat, kommt zurück.
Deshalb: Beginnen Sie miteinander zu sprechen, hören Sie zu, werden Sie agil und werden Sie Ihren Mitarbeitenden gerecht.
Petra Streit ist eine erfahrene Unternehmerin und Businesslotsin mit langjähriger Erfahrung in der Beratung und Begleitung von KMU. Sie war 25 Jahre in der grafischen Industrie tätig, davon 15 Jahre als Verlagsleiterin und VR-Mitglied. Später hat sie als Technikerin für Medienmanagement mehrere Systemprojekte geleitet und realisiert und anschliessend die Leitung und den Aufbau einer Kommunikationsagentur übernommen. Die vielseitige Macherin kombiniert ihre pragmatische Vorgehensweise mit dem fundierten Wissen und der langjährigen Erfahrung. 2015 hat sie den Master in Corporate Communication Management abgeschlossen. Sie hat Weiterbildungen in Medienmanagement & -wirtschaft, Gestaltung, Konzeption, Social Media, Führung und Business Excellence absolviert. Seit 2015 ist sie Co-Owner der todai gmbh.