Ein anspruchsvolles Jahr neigt sich dem Ende zu indem die Blockchain Branche diverse milliardenschwere Firmenzusammenbrüche und Betrugsskandäle aushalten musste. Die wichtigsten Entwicklungen des abgelaufenen Jahres im kompakten Jahresrückblick 2022.
Unendliches Angebot an Token trifft auf abflauende Nachfrage
Die Folgen der Covid-Krise im Jahr 2020 und deren Auswirkungen auf die globale Geldpolitik beflügelten Kryptowährungen in ihrem ohnehin zyklischen Aufwärtsschwung. Die grösste und älteste Kryptowährung Bitcoin legte in unter zwei Jahren eine Verzwanzigfachung hin, während neue Trends gegen Ende des Bullenmarktes das Rampenlicht übernahmen. Der Richtungswechsel der Federal Reserve Bank ging mit dem für die Kryptomärkte typischen „Sell the News“ Ereignis des ersten US-Bitcoin-ETFs im November 2021 einher und markierte den Höchststand für das digitale Gold und markierte somit auch den Anfang vom Ende für die meisten anderen digitalen Assets.
Die Musik hatte jedoch noch nicht vollständig aufgehört, zu spielen. Die gesteigerte Nachfrage nach digitalen Assets traf auf eine unlimitierte Angebotsseite. Jeden Tag wurden neue Token im Wert von Dutzenden Millionen emittiert, neue NFTs kreiert und Allokationen der Risikokapitalgeber entsperrt. DeFi-Protokolle schütteten eigene Tokenrenditen im 3-stelligen Prozentbereich aus, um lebenswichtige Liquidität zu binden. Zu dem gesellten sich die üblichen Blockbelohnungen der Miner hinzu, die nur schon bei Bitcoin mit rund $60. Mio. pro Tag zu Buche schlugen. Die Sinnlosigkeit der Projekte sowie die schiere Unendlichkeit an neuen digitalen Token, die jeden Tag ihre Käufer suchten, deuteten auf eine Übertreibungsphase hin.
Es folgte im ersten Halbjahr 2022, was irgendwann kommen musste: Der Markt konnte das täglich neu kreierte Angebot an digitalen Assets nicht mehr absorbieren. Der umgeschlagene Trend akzentuierte sich im neuen Umfeld das durch Quantitatives Tightening (QT) und somit einem allgemeinen „Riskoff-Gebaren“ gezeichnet war und schlug im überhitzten Kryptomarkt besonders durch.
Terra/Luna: ein 60 Mrd. USD schweres Konstrukt bricht ein
Stablecoins, meist in der Form von Dollar-Token, etablierten sich über die vergangenen Jahre als essenzielle Pfeiler in der Welt der dezentralen Finanzanwendungen (DeFi). Sie sind in den volumenstärksten Krypto-Währungspaaren enthalten und gelten dank der Bindung an eine Fiatwährung als sicherer Hafen gegenüber den volatilen Kryptowährungen. In der Regel werden Stablecoins durch zentral geführte Firmen verwaltet, die neu erschaffene Token mit Dollareinlagen und liquiden Finanzinstrumenten absichern.
Algorithmische Stablecoins bedienen sich einem anderen Ansatz. Ein Algorithmus/Protokoll fungiert in diesem Fall als Zentralbank und ist für die Stabilität der Bindung zuständig. Anders als bei vollständig durch erstklassige Kryptoassets gedeckten oder übergedeckten Stablecoins findet die Bindung/Deckung über den eigenen Token des Protokolls statt, dessen Preisfindung frei von Angebot und Nachfrage abhängt. In der Theorie sollte der Mechanismus durch Prägung und Rücknahme eigener Protokolltoken in der Lage sein, inflationäre oder deflationäre Tendenzen des betreffenden Stablecoins ausgleichen zu können.
In der Praxis durchlebten diverse „Algo-Stables“ einen Realitätscheck. Der Marktführer Terra/Luna – ein Ökosystem mit einem ehemaligen Gesamtwert von rund 60 Mrd. USD – wurde im Mai unter seinem eigenen ponzinomischen Modell erdrückt. Der Protokoll-eigene Stablecoin TerraUSD (UST) verlor eines Tages seine Dollarbindung und die darauffolgende LUNA-Inflation „ad infinitum“ führte zu einer rapiden Abwärtsspirale. Das Ökosystem wurde von einer Woche auf die andere vollständig ausradiert, während Investoren einen schmerzhaften Totalverlust erlitten. Der erste Dominostein war gefallen.
Der Stein kommt ins Rollen
Die erste Blase war geplatzt. Zentrale Dienstleister und VC-Investoren mit signifikanter Exposure gegenüber dem Terra/Luna-Ökosystem waren die nächsten Opfer im Visier des tobenden Bären. Der Gewichtigste: Three Arrows Capital. Während dem Bullenmarkt als eines der erfolgreichsten Krypto-Handelshäuser bekannt, wurde „3AC“ 2012 von zwei ehemaligen Investmentbankern mit Fokus auf Eigenhandel in Wachstumsmärkten gegründet. Begleitet durch eine Vielzahl von profitablen Investments im Kryptobereich und die Wiederverpfändung ihrer illiquiden Sicherheiten wuchsen die verwalteten Vermögen auf über 10 Milliarden US-Dollar.
Die Erfolgssträhne nahm mit dem Ende des Krypto-Aufschwungs und dem Kollaps des von Three Arrows mit Millarden an US-Dollarn unterstützten Terra-Stablecoins ein abruptes Ende. Mangelnde Diversifikation gekoppelt mit einer masslos überhebelten Bilanz ergaben ein hoch giftiges Gemisch. 3AC konnte seinen Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen und musste Insolvenz anmelden. Die beiden Gründer flüchteten nach Dubai und Bali.
Die Implosion des Hedgefonds führte zu einer ernsthaften Liquiditätskrise in der Branche, die in einem Dominoeffekt etliche Anbieter und Projekte in die Knie zwang. Kollateralschäden wie die Insolvenz des US-amerikanischen Brokers Voyager Digital, der Krypto-Kreditplattformen Celsius & BlockFi, sowie diverse andere demonstrierten die Problematik. Dabei offenbarten die Vorfälle fragwürdige Geschäftspraktiken der beteiligten Anbieter, dessen Ursprünge sich nicht von vormaligen Bankenkrisen unterscheiden.
Ein technologischer Meilenstein inmitten des Tumults
Ungeachtet der Marktturbulenzen näherte sich allmählich ein technologischer Sprung für die Ethereum-Blockchain. Mit dem „Merge“ vollführte das grösste Smart-Contract-Netzwerk eines der komplexesten Upgrades überhaupt. Die Umstellung des Konsensalgorithmus von Proof of Work auf Proof of Stake musste durch die 24/7 Natur des Netzwerks im vollen Betrieb durchgeführt werden, was mitunter ein Risiko für die gut 200 Mrd. USD an unterliegenden digitalen Vermögenswerten im System darstellte.
Die vielen Jahre an Vorbereitung zahlten sich jedoch aus und die Umstellung auf Proof of Stake ging ohne jegliche Komplikationen vonstatten. Für die Endnutzer der Blockchain ändert sich nicht viel, die Transition hat dagegen bedeutende Implikationen für das Netzwerk an sich und deren native Kryptowährung Ether (ETH).
Krypto-Regulierung zieht global an
Technologien, die das Potenzial haben, ganze Geschäftsbereiche neu zu gestalten, entwickeln sich naturgemäss rasant. Das war in den Anfängen des Internets bereits sichtbar und ist mit dem Aufkommen der Blockchain-Technologie nicht anders. Die Devise „move fast and break things“ führt schlussendlich auch zu vermeidbaren Katastrophen wie dem Terra/Luna-Debakel. Regulatoren hinken diesen Entwicklungen begreiflicherweise hinterher. Für eine Massanadoption neuer Anwendungsfälle ist eine Regulierung jedoch unerlässlich, da ohne Rechtssicherheit der Investitions- und somit der Innovationsfluss ins Stocken gerät.
Was im März durch eine Durchsetzungsverordnung des US-Präsidenten initiiert wurde, befindet sich unterdessen in einem fortgeschrittenen Stadium. Ein vollständiger Regulierungsrahmen für digitale Assets – insbesondere auch Dollar-basiert Stablecoins – soll bald die rechtliche Grundlage für den Bereich schaffen. Diverse Kommissionen des US-amerikanischen Regulierungsapparats erhalten unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche, während die Börsenaufsicht SEC eine zentrale Rolle einnimmt.
Durch die raschen Entwicklungen in den USA in Bedrängnis geführt, musste sich auch die EU positionieren. Mit der über zwei Jahre ausgearbeiteten Gesetzesvorlage „Markets in Crypto-Assets“ (MiCA) schuf der Staatenverbund den ersten Pfeiler. Der neue Rechtsrahmen umfasst die Bereiche Transparenz, Offenlegung, Genehmigung und Überwachung von Transaktionen durch Dienstleistungsanbieter. Er zielt primär darauf ab, einen einheitlichen Ansatz in allen 27 Mitgliedstaaten zu schaffen. Nach der diesjährigen Verabschiedung im Europäischen Rat steht der Implementierung nichts mehr im Wege. Noch Anfang 2024 soll MiCA in Kraft treten.
Kreditkrise endet in Kryptos „Lehman Moment“
2022 wurde durch eine Reihe hochkarätiger Insolvenzfälle diverser Multi-Milliarden-Kryptounternehmen geprägt. Es herrscht dasselbe Muster vor, das sich bereits durch viele historische Finanzkrisen gezogen hat. Die Konkurswelle, welche die Branche momentan durchleidet, ist die Konsequenz einer Industrie, die verblendet durch einen beispiellosen Bullenmarkt Risikoaspekte vernachlässigte und sich damit selbst zu Fall brachte. Die Parallelen zu traditionellen Finanzkrisen sind unübersehbar. Was 2008 als ein Haufen Junk Hypotheken verschleiert im AAA-Kleid daherkam, kann im digitalen Zeitalter durch selbst geschaffene „Utility“ oder „Governance“ Token ersetzt werden.
Um das ohnehin schon turbulente Jahr abzurunden, sorgte der Kollaps der ehemals zweitgrössten Kryptobörse FTX für den spektakulären Höhepunkt. Der Vorfall ist zweifelsohne der grösste Skandal, der den Sektor je erlebt hat. Er hinterlässt nebst geschädigten Kunden, Gegenparteien und Investoren auch einen ganz bitteren Nebengeschmack bezüglich der Umstände, die zum Zusammenbruch geführt haben. Die Pleite ist durch Ignoranz, massiver Verschuldung und schlussendlich Betrug auf Milliardenskala geprägt. Zweckentfremdung von Kundengeldern, Buchaltungsmanipulation und eine fehlende Gewaltentrennung werden durch einen ungleich behandelten Abzug von Einlagen sowie einem „Hack“ von mehreren hundert Millionen abgerundet. Grosszügige politische Spenden seitens des nun verhafteten FTX Gründers Sam Bankman-Fried sowie dessen Verbindungen zur Führungsspitze des US-Regulators SEC rufen zudem Skeptiker auf den Plan.
Die Nachwehen der Misere werden noch für lange Zeit zu spüren sein, während die gesamte Branche den entstandenen Vertauensverlust mühselig wieder herstellen muss. Nebst einer erforderlichen Ausweitung der Transparenz von zentralen Kryptodienstleistern wird das Debakel die Hauptanwendung von Kryptowährungen vorantreiben: Die uneingeschränkte Selbstverwahrung digitaler Vermögenswerte.
Nachhaltiges Wachstum als Effekt
Die prägenden Konkurse zentralisierter Krypto-Dienstleister dessen Handeln aufgrund von fahrlässigen Geschäftspraktiken und betrügerischem Tun aufbauten, führten neben einem empfindlichen finanziellen Aderlass gleicherweise zu einem Vertrauensverlust. Die Branche wird sich zurückbesinnen müssen auf den Ausgangspunkt der Blockchain Technologie. Vertrauen in Gegenparteien muss durch mathematische Beweise ersetzt werden. Insgesamt führt die aktuelle Bereinigung am Markt mit dem Wegfall nicht wettbewerbsfähiger Marktakteure zu einer robusteren Infrastruktur. Der schmerzhafte Bereinigungsprozess wird durch eine nicht existierende Zentralbank, welche mit artifizieller Geldschaffung Zombiefirmen künstlich am Leben hält, beschleunigt. Der freie Markt schafft somit die effizienteste Basis für ein robustes und nachhaltiges Geschäftsgebaren.
Der Ursprung der Misere, in der sich die Branche hineinmanövriert hat, hat schlussendlich nur wenig mit Bitcoin oder der Blockchain zu tun. Dessen Integrität ist seit seiner Existenz unangetastet. Das dezentrale Bitcoin Blockchain Netzwerk verwaltet eine Rekordzahl an aktiven Wallets und bewältigte seit Bestehen uneingeschränkte Transaktionen im Umfang von $105 Billionen. Und auch das zweitgrösste smart contract fähige Blockchain Netzwerk Ethereum gedeiht mitsamt dem erfolgreich bewerkstelligten Meilenstein 2022 unentwegt. Unternehmen entdecken die Eigenschaften der Blockchain und etablieren sich im Bereich. Ob über NFTs, tokenisierte Vermögenswerte, digitale Identitäten, Gaming etc. die Zukunft der Branche ist vielseitig. Selbstverständlich werden sich gleicherweise 2023 schwierige Herausforderungen präsentieren. Die technologische Disruption wird in vielen Bereichen stattfinden, sie ist aufgrund der globalen und dezentralen Natur der Technologie unaufhaltbar.