Seit Jahren warnen Ulrich Bindseil, Generaldirektor für Marktinfrastruktur und Zahlungsverkehr bei der Europäischen Zentralbank (EZB), und sein Kollege Jürgen Schaaf vor einem Totalverlust bei Bitcoin-Investitionen. In einem 29-seitigen Bericht bekräftigen die beiden ihre Meinung zu der grössten Kryptowährung.
"The distributional consequences of Bitcoin" (dt. = Bitcoins Auswirkungen auf die Vermögensverteilung) betiteln die Autoren ihr Paper. Während "die meisten Ökonomen" den Bitcoin-Boom "als Spekulationsblase sehen, die irgendwann platzen wird," möchten Bindseil und Schaaf die Auswirkungen eines Bitcoin-positiven Szenarios analysieren. Dieses Szenario geht davon aus, dass der Bitcoin-Preis weiter steigt. Was intuitiv vielversprechend oder zumindest nicht schädlich klingt, sei laut den EZB-Angestellten nämlich problematisch für die Gesellschaft.
Die Grundthese: Bitcoin ist wertlos
Ende November 2022 erschien auf dem Blog der Europäischen Zentralbank (EZB) erstmals ein Meinungsstück der beiden Zahlungsspezialisten über Bitcoin. Damals schrieben Bindseil und Schaaf von einer geplatzten Spekulationsblase. Die damalige Preisstabilisierung bei einem Kurs von unter 20'000 USD sei ein künstlich erzeugter letzter Atemzug, bevor die Kryptowährung in die Bedeutungslosigkeit verschwindet. Zwei Jahre später handelte in den USA ein Spot-basierter Bitcoin-ETF, Schweizer Staatsbanken wie die PostFinance boten Kunden direkten Handel an und der Preis der Kryptowährung stieg um +160.1%. Das EZB-Duo legte diesen Februar aber nach, Bitcoins Preiserholung sage überhaupt nichts aus.
Der neueste Bericht der beiden bläst in dasselbe Horn. Selbst 16 Jahre nach Einführung seien Bitcoin-Zahlungen immer noch umständlich, langsam und teuer. Darüber hinaus gelte sein Wert als zu volatil, um die klassischen Funktionen des Geldes zu erfüllen, d.h. als Rechnungseinheit, Zahlungsmittel und Wertaufbewahrungsmittel. Mehr zu den Eigenschaften eines Geldmittels kann in der CVJ.CH-Akademie nachgelesen werden. Heute werde Bitcoin hauptsächlich für Steuerhinterziehung, Betrug, Ransomware, Umgehung von Sanktionen, Terrorismusfinanzierung, Drogenhandel und Geldwäsche benutzt, so Bindseil und Schaaf. Dass illegale Aktivität weniger als 0.5% des Krypto-Volumens ausmacht, ignorieren die Autoren gekonnt.
Ein Preisanstieg würde die Gesellschaft "verarmen"
Da Bitcoin "wertlos" ist und das Produktionspotenzial der Wirtschaft nicht erhöht, seien die Folgen eines hypothetischen anhaltenden Wertzuwachses im Wesentlichen umverteilend, führen die EZB-Mitarbeiter aus. Die Wohlstandseffekte für die frühen Bitcoin-Besitzer können nur auf Kosten des Konsums der übrigen Gesellschaft gehen. Wenn der Preis von Bitcoin dauerhaft steigt, verarmen also sowohl Nicht-Besitzer als auch Nachzügler. Die Gesellschaft verliere dementsprechend immer in einem Bitcoin-positiven Szenario.
"Es ist, als würde man einen Eimer füllen, indem man Wasser aus einem anderen Eimer ablässt – die Nachzügler müssen zugunsten der frühen Inhaber etwas abgeben. Das "Verpassen" von Bitcoin ist also nicht nur eine verpasste Gelegenheit, Vermögen anzuhäufen, sondern bedeutet eine echte Verarmung im Vergleich zu einer Welt ohne Bitcoin." - The distributional consequences of Bitcoin, Ulrich Bindseil und Jürgen Schaaf
Selbstverständlich könnte das Konzept auf alle Anlagen angewendet werden. Nach der These bereichert ein Anstieg des Goldpreises die Besitzer des Edelmetalls auf Kosten der Nicht-Besitzer. Vergessen wird der Vorteil eines inflationsresistenten Vermögenswerts, der vor der Entwertung einer ständig verwässerten Währung schützt. Tatsächlich ist der grosse Verlierer des Trends die EU-Bevölkerung, deren Geld jedes Jahr weniger Güter kaufen kann. Die Ironie ist offensichtlich.
Regierungen müssen Bitcoin verbieten
Dieses Jahr trat in der EU der erste Teil des MiCA-Rahmenwerks in Kraft. Das umfassende Regelwerk gibt den rechtlichen Rahmen für Geschäfte mit Krypto-Assets vor. Für Bindseil und Schaaf sind solche Vorlagen schädlich. Mangels eines stabilen "inneren Wertes" wird die Entwicklung des Bitcoin-Kurses massgeblich von der Haltung der Regierung beeinflusst. Dazu gehören Regulierungsmassnahmen, Gesetzgebung und die potenzielle Einrichtung einer Bitcoin-Reserve. Die Autoren spielen dabei auf das Kampagnenversprechen des republikanischen Kandidaten Donald Trump an.
Derzeitige Nicht-Halter hätten deshalb triftige Gründe, sich gegen Bitcoin einzusetzen. Regierungsvertreter sollten Legislatur vorschlagen, die einen Anstieg der Bitcoin-Preise verhindern oder die Kryptowährung ganz verschwinden lassen. Ansonsten werde die Wohlstandsumverteilung und die Spaltung der Gesellschaft weiter vorangetrieben. Wie erfolgreich solche Bitcoin-Verbote sind, lässt sich in Echtzeit in China verfolgen.