Die Marktkapitalisierung von Aave ist von über 8 Mrd. USD im Mai auf rund 4.4 Mrd. USD gesunken. Eine Reihe von Faktoren könnte diesen Einbruch erklären. Die unaufhaltsamen Kräfte, die Innovationen im Finanzsystem vorantreiben, können jedoch nicht ignoriert werden.
Das Vorgehen der Wertpapieraufsichtsbehörden in New Jersey und Texas gegen CeFi-Plattformen wie Celsius und BlockFi dürfte nicht gerade hilfreich gewesen sein. Darüber hinaus haben sich regulierte DeFi-Marktplätze / genehmigte Pools wie Aave Pro und Compound Treasury trotz des Hypes um institutionelles DeFi noch nicht durchgesetzt. Die unaufhaltsamen Kräfte, die jene Protokolle vorantreiben, dürfen jedoch nicht ignoriert werden.
Anleihe und Kreditvergabe
Im traditionellen Finanzwesen dienen Finanzinstitute wie Banken und Finanzierungsgesellschaften als Vermittler, die die Kreditaufnahme und -vergabe erleichtern. Im Bereich der Kryptowährungen ist die Kreditvergabe und -aufnahme über DeFi (z.B. Aave, Maker und Compound) oder CeFi (z.B. Celsius und BlockFi) Protokolle möglich. Der Unterschied zwischen den beiden Protokollen besteht darin, dass CeFi-Lösungen auf Vermittler zurückgreifen und ähnlich wie das traditionelle Finanzwesen funktionieren, während DeFi die Vermittler ausschaltet, indem es Smart Contracts verwendet und Geldmärkte für verfügbare Token schafft. Aktuell ist Aave das grösste Kredit-Protokoll im gesamten Krypto-Bereich.
- Marktkapitalisierung des gesamten Kreditsektors: 17.4 Mrd. USD
- Aave Marktkapitalisierung: 3.95 Mrd. USD
- Aave’s Anteil am gesamten Kreditmarkt: 23%
- Assets hinterlegt in Aave (TVL): 26 Mrd. USD
Geschichte des Protokolls
Aave wurde am 1. Mai 2017 von Stani Kulechov mit dem Ziel gegründet, eine dezentralisierte Peer-to-Peer-Kreditplattform zu schaffen. Der ursprüngliche Name des Protokolls war „ETHLend“, und es wurde auf der Ethereum-Blockchain mit einem ERC-20 Token namens „LEND“ gestartet. Aave sammelte bei seinem Initial Coin Offering (ICO) rund 16 Mio. USD ein und hatte die Idee, die Kreditvergabe und -aufnahme zu revolutionieren, indem es einen Weg schuf, der jedem den gleichen Zugang zur Finanzwelt ermöglicht.
Ein allgemeiner Überblick zum DeFi-Protokoll Aave, sowie ein Interview mit dem Gründer und CEO Stani Kulechov.
Aave v1
Im Jahr 2018 wurde das ETHLend-Projekt in „Aave“ umbenannt. Beim Peer-to-Peer-Kreditmodell, das ETHLend einführte, mussten die Nutzer über Smart Contracts interagieren, aber die Suche nach passenden Nutzern für die Kreditvergabe und -aufnahme erwies sich als nicht sehr effizient. Daher wurde das Modell mit Aave durch ein dezentrales Liquiditätsmarktprotokoll ersetzt. Mit dem neuen Modell wurden Liquiditätspools eingeführt, in denen die Nutzer mit gepoolten Mitteln statt mit einzelnen Nutzern interagieren können. Im Oktober 2019 wurde das öffentliche Testnetz von Aave v1 mit dem Liquiditätspoolmodell gestartet (unter Beibehaltung des nativen Tokens LEND); der offizielle Start erfolgte im Januar 2020. Das Protokoll wuchs in weniger als sechs Monaten auf eine Marktgrösse von 1 Mrd. USD an und brachte weitere Innovationen mit sich, z. B. „Flash Loans“ und „aTokens“ als Möglichkeit, zuvor in DeFi gebundenes Kapital freizusetzen.
Aavenomics: der AAVE-Token
Der AAVE-Token wurde im Oktober 2021 als ERC-20-Token eingeführt, mit dem Ziel, die Verwaltung des Protokolls an die Community zu übergeben und Aave zu einem dezentraleren Protokoll zu machen. AAVE ermöglicht es seinen Inhabern, über Aave Improvement Proposals (AIPs) über Protokollverbesserungen abzustimmen und zu entscheiden. AIPs können zum Beispiel das Hinzufügen neuer Sicherheiten zum Protokoll oder die Änderung der Risikoparameter bestehender Token beinhalten.
Um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten, hatten bestehende Nutzer die Möglichkeit, ihre LEND-Token in einem Verhältnis von 100:1 in AAVE zu tauschen (d.h. 100 LEND-Token konnten in 1 AAVE-Token getauscht werden). Das Staking von AAVE-Tokens wurde ebenfalls eingeführt und ermöglicht es den Nutzern, Staking-Belohnungen zu verdienen, die aus den Protokollgebühren generiert werden.
Aave v2
Aave Version 2, oder kurz Aave v2, wurde im Dezember 2020 eingeführt. Aave v2 ist ein Protokoll-Upgrade und führte zusätzliche Funktionen ein, z.B. „Collateral Swaps“ und „Batch Flash Loans“. Neben den neuen Funktionen wurden die Smart Contracts optimiert, was zu niedrigeren Transaktionsgebühren im Vergleich zu v1 führt. Das Aave v2 Upgrade hat keine Auswirkungen auf den AAVE Token, und Aave v1 arbeitet weiterhin als paralleles Protokoll.
Mechanismus zur Kreditvergabe
Aave unterstützt das Verleihen und Ausleihen von über 25 Token, z.B. ETH, DAI, LINK und UNI. Nutzer können einen bestimmten Token verleihen und Zinsen verdienen, indem sie ihre Token in einen Aave-Liquiditätspool einbringen, aus dem andere Nutzer dann leihen können. Wenn der Nutzer seine Token in den Liquiditätspool einbringt, erhält er im Gegenzug sogenannte „aToken“, die den zugrunde liegenden Token (im Verhältnis 1:1) plus die aufgelaufenen Zinsen darstellen.
- Der Nutzer möchte Uniswap (UNI) Token ausleihen
- Nutzer sendet UNI an den Aave Smart Contract
- Der Smart Contract gibt aToken „aUNI“ an den Nutzer aus, die die gelieferten UNI-Token plus die Zinsen darstellen, die erwirtschaftet werden, während die gelieferten UNI in einem Pool eingeschlossen sind.
Mit anderen Worten: Während der zugrunde liegende Vermögenswert (in unserem Fall UNI) an die Kreditnehmer ausgeliehen wird, fallen für die aToken (in unserem Fall aUNI) Zinsen an.
Zinssätze
Bei Aave können die Nutzer zwischen variablen und stabilen Zinssätzen wählen. Der variable Zinssatz wird algorithmisch durch das Verhältnis zwischen dem Liquiditätspool eines Tokens (Angebot) und der Nachfrage nach dessen Ausleihe bestimmt. Steigt die Kreditnachfrage für einen bestimmten Token, sinkt die Liquidität und der Zinssatz steigt. Stabile Zinssätze basieren jedoch auf einer Durchschnittsberechnung und können die Volatilität verringern. Durch einen Mechanismus, der als „Zinswechsel“ bezeichnet wird, können die Nutzer auch jederzeit zwischen variablen und stabilen Zinssätzen wechseln.
Überbesicherung
Ab sofort müssen alle Kredite in DeFi überbesichert werden; dies gilt auch für Aave. Mit anderen Worten: Nutzer, die einen Kredit aufnehmen möchten, müssen mehr Sicherheiten zur Verfügung stellen als der Betrag, den sie leihen möchten (dies gilt für alle Token, die vom Aave-Protokoll unterstützt werden).
Die Besicherungsrate hängt vom Krypto-Asset ab und kann zwischen 15% und 75% variieren (z.B. ETH hat eine Rate von 75%, was bedeutet, dass Nutzer mit 1 ETH als Sicherheit 0.75 ETH im Wert des zu borgenden Krypto-Assets leihen können). Wenn der Wert der hinterlegten Sicherheiten unter diese Schwelle fällt, wird der Nutzer liquidiert.
Flash Loans
Flash Loans sind eine Besonderheit von DeFi; im traditionellen Finanzwesen gibt es sie nicht. Flash Loans sind das, was Aave von seiner Konkurrenz unterscheidet und ermöglicht unbesicherte Kredite. Sie funktionieren durch die Festlegung von Zeitvorgaben: Nutzer müssen die geliehenen Coins innerhalb derselben Ethereum-Transaktion (innerhalb desselben Ethereum-Blocks) zurückzahlen, andernfalls schlägt die Transaktion fehl (d.h. jede Transaktion, die mit den geliehenen Geldern durchgeführt wurde, wird annulliert). Die einzigen Kosten, die bei Flash Loans anfallen, sind ein fester Zinssatz von 0.09% auf den geliehenen Betrag sowie die Netzwerkgebühren auf Ethereum.
Flash Loans ermöglichen es Kreditnehmern, kurzfristige finanzielle Gelegenheiten zu nutzen, z.B. Arbitragehandel. Sie können auch für andere Arten von Finanztransaktionen verwendet werden, wie z.B. den Tausch von Kreditsicherheiten, aber da der Mechanismus relativ neu ist, werden weitere Anwendungsfälle noch entdeckt. Mit Aave v2 wurden Batch Flash Loans eingeführt. Während in Aave v1 nur jeweils ein Vermögenswert ausgeliehen werden konnte, ermöglicht Batch Flash Loans die Ausleihe mehrerer Vermögenswerte innerhalb derselben Transaktion.
Die Zukunft des Protokolls
Aufgrund der hohen Transaktionsgebühren des Ethereum-Netzwerks, die sich auf die Interaktionen von Aave auswirken, hat sich Aave mit Multichain-Strategien befasst und arbeitet am Aufbau eines Rahmens für die kettenübergreifende Kreditvergabe. Das Aave-Protokoll wurde im März 2021 auf der Ethereum-Layer-2-Lösung Polygon integriert, wo die Gebühren deutlich niedriger sind. Im Oktober 2021 wurde Aave erfolgreich auf die Avalanche Blockchain portiert, wo das Protokoll bis Ende des Monats einen Gesamtwert von 5 Mrd. USD erreichte. Darüber hinaus hat Gründer Stani Kulechov angekündet, dass Aave bald auf die Solana Blockchain expandieren wird.
Das Entwicklerteam hat auch einen neuen Vorschlag für ein Upgrade auf Aave v3 veröffentlicht. Das Upgrade beinhaltet neue Funktionen, die die Effizienz, die Cross-Chain-Fähigkeiten, das Risikomanagement und die Layer-2-Funktionalitäten verbessern. Die Abstimmung wird Anfang November 2021 stattfinden, und es ist sehr wahrscheinlich, dass sie angenommen wird.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Aave derzeit der grösste Kreditgeber und einer der grössten Akteure im DeFi-Bereich ist: Es handelt sich um einen sogenannten DeFi-Blue Chip. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass das Protokoll diese Position mit seiner historisch bewiesenen schnellen Entwicklung, seinem Engagement für die Dezentralisierung und seiner wachsenden Community weiterhin halten wird.