Seit Jahren veröffentlicht Ulrich Bindseil, Generaldirektor für Marktinfrastruktur und Zahlungsverkehr bei der Europäischen Zentralbank (EZB), höchst kritische Artikel über Bitcoin. In seinem jüngsten Plädoyer auf dem EZB-Blog meint der Ökonom, auch die jüngste Rallye sei lediglich eine durch Manipulation entstandene Blase.
Ende November 2022, kurz nach dem Kollaps der Kryptobörse FTX, stand der Bitcoin-Preis nach einem harten Winter bei 20'000 USD. EZB-Generaldirektor Bindseil fühlte sich in seiner langjährigen Kritik der Kryptowährung bestätigt. Auf dem offiziellen Blog der Europäischen Zentralbank meinte er, Bitcoin stehe kurz vor seinem Weg in die Bedeutungslosigkeit. Dies sei bereits vor dem FTX-Debakel und dem subsequenten Preisverfall absehbar gewesen. Eineinhalb Jahre später handelt in den USA ein Spot-basierter Bitcoin-ETF, Schweizer Staatsbanken wie die PostFinance bieten Kunden direkten Handel an und der Preis der Kryptowährung hat um +160.1% zugelegt. Der faire Wert Bitcoins sei jedoch nach wie vor Null, wie Bindseil und sein Berater Jürgen Schaaf heute erneut auf dem Blog der Europäischen Zentralbank verkündeten.
Ein bevorstehendes Desaster?
Am 10. Januar genehmigte die US-Börsenaufsichtsbehörde (SEC) erstmals börsengehandelte Spot-Fonds (ETFs) für Bitcoin. In den ersten Wochen sammelten die Produkte mit Rekordvolumen über 5 Mrd. USD an verwaltetem Vermögen ein. Laut dem EZB-Generaldirektor und seinem Mitautor steht allerdings ein weiterer Boom-Bust-Zyklus bevor. Und die Kollateralschäden werden massiv sein, einschliesslich der Umweltschäden und der ultimativen Umverteilung von Reichtum auf Kosten der Schwächeren, so der Beitrag. Alle Risiken, auf die bereits vor über einem Jahr hingewiesen wurden, hätten sich bewahrheitet.
- Bitcoin-Transaktionen seien nach wie vor umständlich, langsam und kostspielig. Die Kryptowährung werde ausserhalb des "Darknets" - einem Ort für illegale Geschäfte - kaum benutzt. Initiativen der Regulatoren seien bisher nicht erfolgreich gewesen. Fakt ist: nur ein kleiner Bruchteil (weniger als 0.5%) des gesamten Bitcoin-Volumens steht mit illegalen Geschäften in Verbindung.
- Auch als Investitionsvehikel sei Bitcoin nicht geeignet. Die Kryptowährung generiere keinen Cashflow (Immobilien) oder Dividenden (Aktien), könne nicht produktiv genutzt werden (Rohstoffe) und biete keinen sozialen Nutzen (Goldschmuck) oder eine subjektive Wertsteigerung aufgrund herausragender Fähigkeiten (Kunstwerke). Eine grenzüberschreitende, unveränderbare Währung mit klar definierter Geldpolitik (gegenüber rekordhoher Inflation des Euros) sollte für den EZB-Generaldirektor scheinbar keinen Wert haben.
- Bitcoin-Mining belaste mit dem Proof-of-Work-Konsensmechanismus weiterhin die Umwelt. Das Ausmass übersteige den Energieverbrauch ganzer Länder, was mit steigenden Preisen weiter zunehmen werde. Tatsächlich wird Mining jedoch jedes Jahr umweltfreundlicher, während der Prozess essenziell für die Sicherheit eines dezentralen Netzwerks ist.
Bitcoin-Preiserholung sagt nichts aus
Weiter weisen die Autoren in ihrem EZB-Blogbeitrag darauf hin, Bitcoin habe sich seit ihrem letzten Artikel erheblich erholt. Dies sei auf Aussichten einer Zinssenkung in den USA sowie der Genehmigung der Spot-Bitcoin-ETFs zurückzuführen; ein potenzielles Strohfeuer. Kurzfristig könne der Geldzufluss zwar unabhängig von den Fundamentaldaten einen grossen Einfluss auf die Preise haben, langfristig werden Preise jedoch zu ihren Fundamentalwerten zurückkehren. Ohne Cashflow oder andere Erträge sei der faire Wert eines Vermögenswerts - in diesem Fall Bitcoin - gleich Null. Auch die Verwendung von ETFs als Finanzierungsinstrumente ändere nichts am Marktwert des zugrunde liegenden Vermögenswerts.
Auch wenn die derzeitige Bitcoin-Rallye von vorübergehenden Faktoren genährt wird, gibt es laut dem EZB-Generaldirektor drei strukturelle Gründe für die "scheinbare Beständigkeit": Eine anhaltende Manipulation des Preises auf einem unregulierten Markt ohne Aufsicht und ohne fairen Wert, die wachsende Nachfrage nach der "Währung des Verbrechens" und die Unzulänglichkeiten in den Beurteilungen und Massnahmen der Behörden. Eine höchst fragliche Analyse zweier Mitglieder der Europäischen Notenbank.
Ein Bitcoin-Verbot notwendig?
Wiederholt betont der Beitrag, Bitcoin habe keine wirtschaftlichen Fundamentaldaten. Es gäbe keinen fairen Wert, aus dem sich seriöse Prognosen ableiten lassen. Es handle sich noch immer um eine massive Spekulationsblase, während das Preisniveau kein Indikator für Nachhaltigkeit sein kann. Die hohe Marktkapitalisierung quantifiziere lediglich den gesamtgesellschaftlichen Schaden, der entstehen werde, wenn das Kartenhaus zusammenbricht. Behörden sollten die "die finanziell weniger Gebildeten" vor Verlusten im Zusammenhang mit der Kryptowährung schützen.
Die Europäische Union finalisierte über Jahre ein umfassendes Regelwerk für den Umgang mit digitalen Vermögenswerten (MiCA). Im vergangenen Frühling verabschiedete das Parlament die Vorlage. Für Bindseil und Schaaf sollten die Vorschriften jedoch härter sein. Die Anleger sollten völlig bevormundet werden, wie die Bezeichnung der "finanziell weniger Gebildeten" verdeutlich. Denn besser als eine strikte Regulierung wäre ein Bitcoin-Verbot, wie die Autoren suggerieren. Generaldirektor Bindseil reagierte nicht sofort auf eine Anfrage von CVJ.CH.