Im Bereich Tokenisierung sind vermehrt neue und innovative Projekte lanciert worden. Besonders in der Schweiz, dem sogenannten "Crypto Valley", hat dieser Aspekt der Blockchain-Technologie an Fahrt gewonnen. Ein Gespräch mit Marco Grossi über die Tokenisierung von Rohstoffen.
Tokenisierung beschreibt kurz gefasst die Repräsentation eines Vermögenswertes auf der Blockchain. Für den Handel von traditionellen Finanzprodukten mag es nur ein kleiner Fortschritt sein, doch für illiquide Vermögenswerte wie Immobilien, Kunst oder Rohstoffe, kann Tokenisierung neue Welten öffnen.
Dank ihrer Teilbarkeit, globalen Übertragbarkeit, und den tiefen Transaktionskosten von Blockchain-Token bekommen auch kleinere Privatanleger Zugang zu „Non-Bankable Assets“. Märkte mit historisch gesehen tiefer Liquidität könnten sich so an einem neuen Zufluss an Investitionen erfreuen.
Tokentrust, ein in Zug ansässiges Unternehmen, ist der Betreiber des Tokenisierungs-Ökosystems Atomyze. Die Plattform zielt darauf ab, die Emission, den Transfer (Primär- und Sekundärmarkt) und die Einlösung von verschiedenen Rohstoff-Token zu ermöglichen; aufbauend auf und unter Nutzung der Vorteile der Distributed Ledger Technology (DLT) und des Hyperledger-Protokolls, das gemeinsam mit IBM entwickelt wurde. Ein Interview mit CEO Marco Grossi.
CVJ.CH: Wie kam es zur Gründung von Tokentrust? Was war/ist Ihre Vision?
Marco Grossi: Der Anteilseigner von Tokentrust, der Global Palladium Fund, der von MMC Norilsk Nickel - dem weltweit grössten Produzenten von Palladium und hochwertigem Nickel sowie einem bedeutenden Produzenten von Platin, Kupfer und anderen Metallen - gegründet wurde, hat die Mission, den nächsten grossen Schritt in der Entwicklung der Branche zu realisieren und hat Blockchain als eine grundlegende Technologie für die nächste Generation von Lieferketten identifiziert. Bislang hat die mangelnde Einführung moderner finanzieller und technologischer Lösungen dazu geführt, dass der Sektor die folgenden Probleme aufweist:
- Industrielle und investierbare Rohstoff-Märkte sind kaum interoperabel
- Hohe Eintrittsbarrieren für Finanzkunden
- Investoren haben keinen Zugang zu Lagereinrichtungen und Preisen im industriellen Massstab
- Der Handel mit traditionell illiquiden Rohstoffen ist aufgrund fehlender standardisierter Infrastruktur eingeschränkt
- Hohe Friktionskosten aufgrund einer übermässigen Anzahl von Intermediären
- Lange und ineffiziente Due-Diligence- und Abwicklungsprozesse
- Keine Transparenz der Kostenaufteilung
- Unklarheit über ESG-Daten der Produkte wie Herkunft und ökologischer Fussabdruck
- Grössere Spreads aufgrund eingeschränkter Preisfindung
Unsere Vision ist es, der Rohstoffbranche durch Tokenisierung und Distributed Ledger Technology (DLT) innerhalb eines nahtlosen Ökosystems auf der Atomyze-Plattform neuen Zugang, erhöhte Liquidität, optimierte Effizienz und verbesserte Transparenz zu verschaffen.
Warum Rohstoffe und nicht z. B. Immobilien?
Unser Anteilseigner kommt aus der Rohstoffbranche und es war eine natürliche Wahl für die anfängliche Entwicklung. Nichtsdestotrotz sind auch andere Branchen, wie z.B. Immobilien und Pharmazeutika, für uns von Interesse und können Teil unserer mittelfristigen Entwicklung sein.
Was den Rohstoffbereich betrifft, so haben wir gesehen, dass er in den letzten Jahren nicht besonders innovativ war und wir sehen grosses Entwicklungspotenzial, insbesondere bei der Linderung der oben genannten Schmerzpunkte.
Vergleichsweise bringen Rohstoffe auch eine gewisse Häufigkeit und Grössenordnung von Transaktionen mit sich, im Gegensatz zu Immobilien, bei denen es viel weniger Transaktionen gibt (man verkauft zum Beispiel nicht jeden Tag sein Haus).
Wer profitiert am meisten von tokenisierten Rohstoffen?
Zunächst einmal profitiert die Industrie von der verbesserten Flexibilität der Lieferketten und den reduzierten Betriebskosten, während gleichzeitig ein grösseres Portfolio an Industriekunden zugänglich wird.
Durch die Einführung eines digitalen Ökosystems kann die Industrie die Lücke zwischen der industriellen Rohstoff- und der Finanzwelt schliessen - und so Kreislaufwirtschaften entwickeln. Durch die Tokenisierung nimmt die Industrie an einem Ökosystem teil, das auf "digitalem Vertrauen" in einer ansonsten vertrauenslosen Umgebung basiert.
Durch den Einsatz von DLT können Industrieunternehmen und ihre Kunden Environmental Social Governance (ESG) unveränderbar mit den Rohstoffen verknüpfen und Track-and-Trace Prinzipien implementieren.
Wie war die Reaktion der etablierten Akteure in der Branche?
Sehr positiv. Wir haben unsere Lösung mit einigen der führenden Akteure der Branche, darunter GPF, Traxys und Umicore, getestet und erste Transaktionen durchgeführt. Dabei haben wir nicht nur den Beweis erbracht, dass die Lösung funktioniert, sondern auch bestätigt, dass die Nachfrage für Zugänglichkeit, Liquidität, Effizienz der Lieferkette und Transparenz der Branche gross ist.
Warum haben Sie sich in der Schweiz, speziell in Zug, niedergelassen?
Einfach gesagt ist Zug - im Herzen der Schweiz - der richtige Ort für die Blockchain- und Rohstoffindustrie. Abgesehen davon, dass Zug ein globaler Knotenpunkt für Rohstoffe ist, wird es auch als "Crypto Valley" bezeichnet - und das aus gutem Grund. Es bietet ein unvergleichliches Geschäftsumfeld, darunter günstige Gesetze (z. B. das neue DLT-Gesetz, das am 1. Februar 2021 in Kraft getreten ist), niedrige Steuern, ein progressives und unterstützendes politisches System und erstklassige Forschungseinrichtungen. Da wir einerseits in der Rohstoffbranche und andererseits im Blockchain-Bereich tätig sind, war es eine natürliche Wahl.
Gab es irgendwelche grossen Herausforderungen? Wenn ja, wie sind Sie mit ihnen umgegangen?
Angesichts des neuen und bahnbrechenden Bereichs, in dem wir tätig sind, gab es einige Herausforderungen, denen wir uns stellen mussten:
- Die richtigen Leute mit den richtigen Fähigkeiten zu finden war eine Herausforderung. Dennoch haben wir jetzt über 25 hochqualifizierte Mitarbeiter und wachsen stetig.
- Aufgrund der Komplexität der verschiedenen involvierten Branchen sind die Kosten für Beratung, rechtliche und behördliche Angelegenheiten beträchtlich und nehmen oft sehr viel Zeit in Anspruch.
- Wir bewegen uns in vielerlei Hinsicht auf Neuland, da dies bisher noch nicht gemacht wurde. Eine solche Lösung komplett neu zu bauen bringt spannende Herausforderungen mit sich. Es ist unsere Expertise im globalen Banken- und Rohstoffsektor, gepaart mit unserem Wissen über moderne Fintechs, die uns hilft, diese Herausforderungen zu meistern.
Was würden Sie sagen, war bisher der grösste Erfolg?
Am 25. Februar 2020 haben wir Atomyze ins Leben gerufen - eine neue Plattform für die Tokenisierung von Industriegütern, mit führenden Akteuren wie GPF, Traxys und Umicore. Tokenisierte Edel- und Basismetalle haben im Januar 2021 den gesamten Produktlebenszyklus durchlaufen; diese ersten Transaktionen wurden alle erfolgreich auf der DLT-unterstützten Plattform abgewickelt, was die technische Funktionalität beweist.
Tokentrust wurde auch von Ridgex Investments plc für die Verwahrung und Aufbewahrung von Edel- und Basismetallen gewählt, wobei zusätzlich Transaktions- und Wareninformationen über den digitalen Ledger verwaltet werden. Ridgex hat physisch gesicherte Gold-, Silber-, Platin- und Palladium Exchange Traded-Commodities (ETC) an europäischen Top-Börsen wie der Deutschen Börse und der London Stock Exchange gelistet.
Wo sehen Sie Potenzial für die Tokenisierung, abgesehen vom Rohstoff-Markt?
Die Anwendungsfälle von Tokenisierung und DLT sind riesig. Wir können bereits sehen, dass sie schnell Teil des täglichen Lebens, der Wirtschaft und diverser Institutionen werden. Aufgrund des unveränderlichen Proof-of-Ownership und der Fraktionierung wollen Unternehmen alles tokenisieren, von traditionellen Vermögenswerten wie Fonds, Anleihen und Immobilien bis hin zu einzigartigen Gütern wie Kunstwerken, Musik und Dienstleistungen.
Tokenisierung ist der Schlüssel zu erhöhter Liquidität, optimierter Effizienz und verbesserter Transparenz bei allen Vermögenswerten, Waren und Dienstleistungen - so ist auch unsere Vision.
Marco Grossi ist Chief Executive Officer bei Tokentrust. Er hat mehr als 19 Jahre Erfahrung in Finanzdienstleistungsunternehmen. Er war CFO von Lehman Brothers Finance (2008-2015, unter PWC-Vertrag) während der Liquidation, Director bei Deloitte (2015-2017), leitete das DLT Assurance Team Schweiz und wurde im Dezember 2018 zum Global Leader für DLT Assurance Service gewählt.