Damit Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Abschluss und Durchführung von Verträgen erst gar nicht entstehen, bieten Blockchains und Smart Contracts die Möglichkeit, den Geschäftsverkehr erheblich zu vereinfachen. Ein Überblick über potentielle Möglichkeiten der Streitbeilegung.
Blockchains und Smart Contracts sind Technologien von vielfältigem Nutzen. Trotzdem lassen sich Rechtsstreitigkeiten auch durch Einsatz solch innovativer Technologien nicht gänzlich vermeiden. Wie könnte eine geeignete Lösung hierfür aussehen, welche den Besonderheiten der Blockchains und Smart Contracts gerecht wird? Wohl seit Jahrtausenden regeln internationale Kaufleute ihre Streitigkeiten mittels (privater) Schiedsverfahren, lange bevor es eine staatliche Justiz in der heute geläufigen Gestalt überhaupt gab.
Diese Streitbeilegungsmethode kann auch im Zeitalter von Blockchain und Smart Contracts einen sinnvollen Beitrag leisten, gerade weil Blockchains und Smart Contracts vielfach über Staatsgrenzen hinweg zum Einsatz kommen. Gleichzeitig sollte der Ablauf solcher schiedsrichterlicher Verfahren an die Besonderheiten von Blockchains und Smart Contracts angepasst werden. Im Nachfolgenden wollen wir hierzu einige Vorüberlegungen anstellen.
Verfahrenseffizienz als oberstes Gebot
Mit Blick auf die gewünschten Effizienzgewinne durch den Einsatz von Blockchains und
Smart Contracts in der Abwicklung von Geschäftstransaktionen wird auch im Hinblick auf
die Streitbeilegung in erster Linie darauf zu achten sein, dass diese ebenfalls möglichst
effizient abläuft. Es erscheint wenig zielführend, z.B. eine Handelsplattform für den
Hochfrequenzhandel von Kryptowährungen zu benutzen, daraus resultierende
Rechtsstreitigkeiten aber über Jahre vor Gericht auszutragen.
Effiziente Streitbeilegung setzt massgeschneiderte Verfahrensabläufe, konkurrenzfähige
Kostenstrukturen, aber auch inhaltlich kompetente Entscheidungsträger voraus. Staatliche
Gerichtsverfahren, mit formalisiertem Ablauf und standardisierten Kostenregimen sowie nicht
speziell für Blockchain-Streitigkeiten geschulten Entscheidungsträgern, helfen aber nur
begrenzt, diese Probleme zu bewältigen. Als Alternative bieten sich daher private
Schiedsverfahren an. In anderen Industriezweigen, die grössten Wert auf Effizienz legen,
etwa Schifffahrt oder Handel, gehören schiedsrichterliche Verfahren denn auch seit Langem
zum Standardrepertoire. Wir wollen zeigen, wie auch die Blockchain-Industrie hiervon
profitieren könnte.
Schiedsgerichtsbarkeit im Allgemeinen
Schiedsverfahren sind private, also nicht-staatliche Verfahren zur verbindlichen Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten. Die Entscheidung, der sog. Schiedsspruch, wird getroffen von privaten Entscheidungsträgern, den Schiedsrichtern. Durch ein Schiedsverfahren wird folglich die Anrufung eines staatlichen Gerichts ersetzt. Als Schiedsrichter kommt grundsätzlich jeder in Betracht; ein juristischer Hintergrund ist nicht notwendig, aber oft vorhanden. Ausgewählt werden die Schiedsrichter direkt oder indirekt durch die Parteien. Diese können dabei darauf achten, dass die jeweiligen Entscheidungsträger gerade die erforderliche fachliche Qualifikation mitbringen.
Auch das schiedsrichterliche Verfahren richtet sich vorrangig nach der Vereinbarung der Parteien, kann insofern, anders als staatliche Gerichtsverfahren, relativ frei und flexibel an die Bedürfnisse der Parteien angepasst werden. Hinsichtlich der Details des Verfahrensablaufs wird vielfach auf vorformulierte Regelwerke (z.B. die Schiedsregeln der Internationalen Handelskammer in Paris) verwiesen.
Besonderheiten der Schiedsgerichtsbarkeit
Im Unterschied zu staatlichen Gerichtsverfahren beschränken sich Schiedsverfahren in aller
Regel auf eine einzige Instanz. Der Entscheid des Schiedsgerichts kann also nicht zur
umfassenden Neubeurteilung an eine höhere Instanz weitergezogen werden. Das reduziert den
Kostenaufwand nicht selten erheblich.
Wie können Schiedsverfahren nun noch weiter gerade auf die Bedürfnisse der Blockchain-
Industrie zugeschnitten werden? Theoretisch könnten die jeweiligen Beteiligten sich das
Verfahren selbst gestalten. Dies wäre aber ökonomisch wenig effizient. Wir plädieren daher
insbesondere für die Schaffung spezieller Schiedsregeln für die Blockchain-Industrie sowie
die Einrichtung einer automatisierten und selbstregulierten Rechtsdurchsetzung (Vollstreckung).
Schiedsregeln für die Blockchain-Industrie
Um dem Bedürfnis nach Effizienz Rechnung zu tragen, sollten Blockchain-Schiedsregeln
vornehmlich Regelungen für eine beschleunigte Durchführung des Schiedsverfahrens treffen.
Dies umfasst u.a. kurze Fristen für das Verfassen von Rechtsschriften, die nur in begründeten
Ausnahmefällen erstreckt werden können. Schiedsgerichte sollten idealerweise mit nur einer
Person besetzt werden (Einzelschiedsrichter). Es wäre ausserdem zu überlegen, nur bestimmte
Beweismittel zuzulassen, etwa elektronische oder physische Dokumente, jedoch keine Zeugenaussagen. Eine mündliche Verhandlung würde sich in vielen Fällen erübrigen.
Eine derart beschleunigte Durchführung von Schiedsverfahren führt zweifellos zu einer sehr effizienten Streitbeendigung. Allerdings resultiert daraus die Gefahr eines inhaltlich falschen Entscheids. Es mag beispielsweise vorkommen, dass eine Partei legitimerweise ihre Behauptungen nur durch Zeugen beweisen kann. Deshalb könnte man überlegen, dem oben skizzierten Verfahren, anders als in der traditionellen Schiedsgerichtsbarkeit üblich, eine zweite Instanz nachzuschalten, mit einem umfassenderen Verfahren vor einem Dreier- Schiedsgericht und einer vollen mündlichen Verhandlung inkl. Zeugenbefragungen. Für den Normalfall einer Einzelinstanz bliebe es bei den üblichen Kostenersparnissen. Für den Ausnahmefall, dass Zeugen oder auch Sachverständige eine bedeutende Rolle spielen, kann ein inhaltlich richtiger Entscheid herbeigeführt werden.
Vergleichbar mit der Blockchain-Industrie sind auch die bereits kurz erwähnten Branchen
Schifffahrt und Handel auf effiziente Streitbeilegung mittels Schiedsverfahren angewiesen.
Deren spezielle Schiedsregeln könnten deshalb als Vorbilder für Blockchain-Schiedsregeln
fungieren.
Automatisierte und selbstregulierte Rechtsdurchsetzung
Fehlt zur effizienten Streitbeilegung noch die etwaige Durchsetzung eines Schiedsspruchs.
Sofern die unterlegene Partei den Schiedsspruch nicht akzeptiert, muss die obsiegende Partei
rechtliche Mittel zur sog. Vollstreckung des Schiedsspruchs ergreifen. Ganz grundsätzlich ist die (internationale) Vollstreckung eines Schiedsspruchs regelmässig einfacher als die (internationale) Vollstreckung eines Gerichtsurteils. Für die Blockchain- Industrie liesse sich die Effizienz der Vollstreckung aber noch weiter optimieren, nämlich mittels automatisierter und selbstregulierter Rechtsdurchsetzung.
Namentlich könnten (insb. private and permissioned) Blockchains dergestalt programmiert werden, dass ein Schiedsspruch zwischen Benutzern der Blockchain direkt auf der Blockchain vollstreckt wird, indem die Parteien in der Anfangsphase des Verfahrens den streitgegenständlichen Betrag an die Wallet Adresse des Smart Contract senden, welcher so programmiert ist, dass er nach Bekanntgabe des Schiedsspruchs die bestimmte Menge an Kryptowährung automatisch der siegreichen Partei transferiert und der unterliegenden Partei abbucht. Die Details hängen von der jeweiligen Anwendung von Blockchains und Smart Contracts ab.
Die Schweiz als Schiedsort für Blockchain-Schiedsverfahren
Auch wenn es sich bei Schiedsverfahren um eine private Form der Streitentscheidung handelt, kann doch zu einem gewissen Grad auf die Unterstützung staatlicher Rechtsordnungen zurückgegriffen werden, etwa wenn es um Fragen der Bestellung des Schiedsgerichts, der Beweisaufnahme oder der Vollstreckung von Schiedssprüchen geht. Schiedssprüche können auch, obwohl in sehr begrenztem Masse, durch staatliche Gerichte auf gravierende Verfahrensfehler überprüft werden. Die diesbezügliche Verbindung zu einer Rechtsordnung stellen die Parteien regelmässig durch die Wahl eines sog. Sitzes des Schiedsgerichts her
(Schiedsort).
Die Schweiz ist ein international sehr beliebter Schiedsplatz im Allgemeinen und bietet sich
im Besonderen auch als Schiedsplatz für Blockchain-Streitigkeiten an. Nebst einem rechtlichen Umfeld, das den Parteien viele Freiheiten in der Ausgestaltung des Schiedsverfahrens lässt, verfügt die Schweiz über eine grosse Anzahl qualifizierter Schiedsrichter. Zudem existiert in der Schweiz umfangreiches technisches Know-how im Blockchain-Bereich mit einigen wichtigen professionellen Blockchain- und Kryptowährungen-Vereinigungen, was wiederum für qualifizierte Schiedsrichter gerade im Bereich der Blockchain-Streitigkeiten sorgt.
Schlussfolgerung
Private Schiedsverfahren bieten sich also ganz generell als Standard zur Streitbeilegung in der
Blockchain-Industrie an. Mit der Wahl eines Schweizer Schiedsorts können die Parteien dabei wenig falsch machen, unabhängig davon, ob gerade für die Vollstreckung von Schiedssprüchen im Blockchain-Bereich überhaupt auf die Unterstützung staatlicher Stellen zurückgegriffen werden muss.
Weiterführend zur hiesigen Thematik unser Beitrag „Arbitrating Blockchain and Smart Contract Disputes—Lessons to be Learnt from Commodities and Shipping Arbitration“, in: Franco Maziero (Hrsg.), International Arbitration in the Age of the Technological Revolution, Band 2, Brasilien (im Erscheinen 2021).
Autoren: Andreas Wehowsky und Dr. Johannes Landbrecht
Andreas Wehowsky ist Rechtsanwalt mit einem Tätigkeitsschwerpunkt auf Schiedsverfahren und staatliche Gerichtsverfahren. Zur Zeit verfasst er seine Dissertation im Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit an der Universität Zürich, bevor er wieder als Rechtsanwalt für eine auf internationale Streitigkeiten spezialisierte Kanzlei in Zürich arbeiten wird.