Mit dem Aufkommen der Blockchain müssen auch gewisse Rechtskonzepte diskutiert und neu gedacht werden. Während einige angepasst werden können, dürften andere in Zukunft vielleicht ganz obsolet werden.
Der Bitcoin-Preis ist seit Beginn des Jahres bereits über 100 Prozent gestiegen. Krypto-Investoren schnuppern somit Morgenluft und hoffen, dass der Krypto-Frühling endlich eingeläutet worden ist. Das Wachstumspotenzial sei denn auch nach wie vor riesig, stecke der Krypto-Markt doch noch immer in den Kinderschuhen, so die allgemeine Einschätzung. Eines der grössten Handicaps der noch jungen Branche: Zahlreiche rechtliche Fragen sind immer noch ungeklärt. Für viele Investoren der Grund dafür, dass Neugelder nur schwer aufzutreiben sind. Manch einer sehnt sich daher nach Rechtssicherheit, welche die Krypto-Welt endlich zum Massenphänomen machen soll.
Andreas Glarner, Anwalt der krypto-affinen Kanzlei MME und Mitglied der Blockchain-Taskforce des Bundesrates, sieht das etwas anders. Zum einen sei es nicht so, dass keine Investments getätigt würden. Der Preisanstieg der vergangenen Wochen würde eher das Gegenteil beweisen. Zum anderen sei es vor allem die hohe Volatilität der Krypto-Assets, die für die Zurückhaltung verantwortlich sei. «Angesichts der finanziellen Risiken von Krypto-Assets erscheinen mir die rechtlichen Risiken doch eher sekundär», so der Jurist.
Dass es rechtliche Unsicherheiten gibt, bestreitet Glarner indes nicht. «Das bringen neue Technologien stets mit sich.» Doch diese Unsicherheiten seien von Token-Modell zu Token-Modell unterschiedlich. So sehe er bei Nutzungs- und Zahlungs-Token aus Investorensicht zwar wirtschaftliche Risiken, aber keine grossen rechtlichen Unsicherheiten. Selbst Anlage-Token würden einem nur bedingt vor rechtliche Unklarheiten stellen, solange das Projekt rechtlich sorgfältig aufgesetzt sei. Entsprechend müsse der Investor den Token und das damit in Verbindung stehende Projekt einer Risikoprüfung unterziehen, welche die gewählte Rechtsstruktur miteinschliesst, meint Glarner.
Wettbewerb unter Juristen
Gemäss Rolf Weber, Rechtsanwalt bei der Bratschi AG und ebenfalls Mitglied der Blockchain-Taskforce des Bundesrates, sei es vor allem dem entbrannten Ideen-Wettbewerb unter Juristen zu verdanken, dass man in der Schweiz bezüglich Blockchain um Rechtsklarheit bemüht sei. So seien von unterschiedlicher Seite Arbeiten und Thesenpapiere publiziert worden, die schliesslich den 170-seitigen Bericht des Bundesrats vom Dezember 2018 inspiriert hätten, meint Weber. Auch für Glarner stellt der Bericht einen guter Gradmessen dar. Er zeige, wo wir stehen und wo auf Gesetzes- oder Verordnungsebene Handlungsbedarf bestehe.
Ebenfalls einig sind sich die beiden Juristen beim folgenden Punkt: Das Recht sollte auf keinen Fall Innovation verhindern. Gleichwohl gelte es, sichere und klare Leitplanken zu setzen, damit sich die neue Technologie in geordneten Bahnen und möglichst gewinnbringend für alle Beteiligten entwickeln könne. Dass Innovationen neue rechtliche Rahmenbedingungen bedürfen, sei nichts Neues, argumentiert Weber, der an der Universität Zürich einen Lehrstuhl für Privat-, Wirtschafts- und Europarecht innehat. «Als man in den USA die ersten Kohleneisenbahnen in Betrieb nahm, verursachten deren Funken Brände auf den Feldern neben den Gleisen. Es wurden daher Vorschriften erlassen, die dafür sorgten, dass Lokomotiven funkenresistent gebaut wurden», gibt Weber zu bedenken.
Die entscheidenden Rechtsfragen in Bezug auf Blockchain und Krypto-Assets sind zivil-rechtlicher Art. Begründen Krypto-Token Eigentum? Ist Bitcoin eine Sache? Es geht um die Frage der Körperlichkeit, denn das Schweizer Recht kennt keine klare Definition für eine «Sache». Eine Sache ist jedoch die Voraussetzung dafür, Eigentum begründen zu können. In der Lehre ging man lange davon aus, dass eine Sache der Körperlichkeit bedarf, also physisch greifbar sein muss. Noch immer spricht ein Teil der Juristerei Krypto-Token die Sachqualität ab – und damit die Möglichkeit, daran Eigentum zu erhalten.
Die Frage des Eigentums
Andere fordern eine zeitgemässere Auslegung des Eigentumsbegriffs. Andreas Glarner etwa ist der Ansicht, dass sich die praktische Rechtsanwendung gegenüber neuen technischen Entwicklungen nicht verschliessen darf. Entsprechend soll bei der sachenrechtlichen Analyse nicht die Körperlichkeit im Vordergrund stehen, sondern die Beherrschbarkeit – und die ist heute auch bei digitalen Token nachweisbar. Ausschlaggebend dafür sind deren Einmalig- und Individualisierbarkeit, was Krypto-Token gleichzeitig rivalisierend macht. Anders ausgedrückt: Auf einer Blockchain basierende Token können nur von demjenigen kontrolliert werden, der über den privaten Zugangsschlüssel verfügt – und niemanden sonst. Laut Anwalt Glarner weisen Krypto-Token eigentumsähnliche Qualitäten auf, und das rechtfertige die Anwendung des Eigentumsrechts.
Anpassungen in Aussicht
Die sachenrechtlichen Fragen betreffen vor allem die Verwahrung von Token. Wie ist mit Krypto-Assets im Konkursfall zu verfahren? Werden sie der verwahrenden Partei zugeordnet, riskiert der eigentliche Eigentümer der Krypto-Token den Verlust derselben. Obschon noch keine Gerichtspraxis bestehe, spricht gemäss Glarner viel dafür, dass von einem Dienstleister verwahrte und kontrollierte Krypto-Assets im Rahmen eines Konkurses des Dienstleisters als Sachen ausgesondert werden können und darum nicht in die Konkursmasse fallen. Dies zumindest, sofern sich die spezifischen Krypto-Assets mittels der Blockchain eindeutig der daran berechtigten Person zuordnen lassen. Auch der Bundesrat anerkenne das reale Bedürfnis nach Rechtssicherheit und stellte entsprechende Anpassungen auf Gesetzesstufe in Aussicht, so Weber.
Von genauso entscheidender Bedeutung ist die sachenrechtliche Frage bei der Übertragung von Krypto-Token. Diese können zwar innerhalb des jeweiligen Blockchain-Systems jederzeit für alle Beteiligten nachvollziehbar transferiert werden. Da die Eigentumsfrage wie auch die Übertragungsfrage jedoch juristisch noch nicht abschliessend geklärt ist, sehen sich diejenigen, die mit Krypto-Token zu tun haben, mit folgender Herausforderung konfrontiert: Wie kann eine rechtlich einwandfreie Übertragung sichergestellt werden?
Juristen hätten hierfür mehrere Anknüpfungspunkte geprüft, sagt Weber: Immaterialgüter-, Urheber-, Wertschriften- oder Wertrechtegesetz – doch Krypto-Token erfüllten deren Voraussetzung nur zum Teil. Ein vieldiskutierter Weg die mit einem Asset-Token verbundenen Rechte zu übertragen ist jener der Forderunsabtretung. Allerdings ist es in der Schweiz so, dass Übertragungen von Forderungen der Schriftlichkeit bedürfen – doch bei einer Token-Übertragung gibt es keine Papiere. Natürlich könnte man einen schriftlichen Vertrag aufsetzen, doch das macht die Sache massiv komplizierter und widerspricht der Grundidee digitaler Werte.
Glarner stellt daher die Frage in den Raum, ob Schriftlichkeit bei Blockchain basierten Token nötig sei: «Eigentlich soll das Schrifterfordernis beim Abtretungsvertrag dem Schutz des Schuldners und dem Geschäftsverkehr dienen. Mit der Blockchain kann man nun aber eineindeutig nachvollziehen, ob eine Übertragung stattgefunden hat, was die Formerfordernis vollständig obsolet macht.»
Das Recht im Wandel
Inwiefern die Schriftlichkeit bei Krypto-Token in Zukunft noch relevant sein wird, ist noch nicht abschliessend geklärt. Doch um die Übertragbarkeit sicherzustellen, gibt es weitere Ansätze, die ebenfalls im Bericht des Bundesrates diskutiert werden. Etwa die Schaffung einer neuen Kategorie digitaler Wertrechte, über deren Übertragung in einem dezentralen Register – der Blockchain – Buch geführt wird. Hierfür bräuchte es eine Anpassung des Obligationenrechts. Aus Webers Sicht eine sinnvolle Herangehensweise, er geht davon aus, dass der Bundesrat eine solche Gesetzesänderung im März vorschlagen dürfte. Glarner fügt an: «Zentral dabei ist stets, ob der Anlage-Token in einem offenen oder geschlossenen Nutzerkreis transferiert werden kann.»
Als Gegenstück zu den Anlage-Token werden Nutzungs- sowie Zahlungs-Token ins Feld geführt. Während Anlage-Token grundsätzlich ein ausserhalb der Blockchain bestehendes Recht – etwa eine Forderung oder ein Mitgliedschaftsrecht – abbilden und somit immer eine Gegenpartei aufweisen, fehlt es bei Nutzungs- und Payment-Token in der Regel an einer solchen. Entsprechend lassen sich Krypto-Token aus funktionaler Perspektive auch in Token mit und ohne Gegenpartei unterteilen. So erlaubt ein Ether-Token die Nutzung des Blockchain-Protokolls Ethereum, das heisst einer dezentralen Softwareinfrastruktur.
Dabei interagiert man nicht mit einer zentralen Gegenpartei, sondern mit der Software selbst. Insofern definieren Nutzungs-, aber auch Zahlungs-Token keine über ihre technische Funktion hinaus-gehenden Rechte. Die rechtlich einwandfreie Transferierung ist hier deshalb wenig problematisch. Das war auch der Grund, weshalb während des ICO-Booms vor allem vor den Nutzungs-Token gewarnt wurde. Diese sind zwar interessant, aber bieten dem Investor aus rechtlicher Sicht wenig Absicherung.