Die US-Börsenaufsicht SEC hat der Depository Trust Company (DTC), einer Tochtergesellschaft der DTCC, einen No-Action Letter erteilt. Damit erhält die zentrale Wertpapierverwahrungsstelle der USA die Genehmigung, ein Tokenisierungsprogramm für Aktien, ETFs und US-Staatsanleihen in einer Produktionsumgebung anzubieten.
Die DTC verwaltet derzeit Wertpapiere im Wert von über 100 Billionen US-Dollar und wickelt jährlich Transaktionen im Volumen von 3.7 Billiarden US-Dollar ab. Die Genehmigung gilt für einen Zeitraum von drei Jahren und erlaubt die Tokenisierung hochliquider Anlageklassen auf vorab genehmigten Layer-1- und Layer-2-Blockchains. Der Start des Dienstes ist für die zweite Jahreshälfte 2026 geplant. Die tokenisierten Wertpapiere behalten alle Rechte, Ansprüche und Anlegerschutzmassnahmen der traditionellen Form.
Regulatorische Ausnahmeregelungen für dreijährige Pilotphase
Der No-Action Letter der SEC gewährt der DTC temporäre Ausnahmen von mehreren Compliance-Anforderungen, darunter zentrale Bestimmungen der Regel 17Ad-22 zur Zuverlässigkeit und Sicherheit von Marktinfrastrukturen. Ebenso entfallen für die Pilotphase bestimmte 19b-4-Einreichungen sowie spezifische Standards für Clearing-Organisationen. Diese Ausnahmeregelungen ermöglichen es der DTC, tokenisierte Wertpapiere auf zugelassenen Blockchains zu prägen und zu vernichten, ohne gegen geltende Clearing- oder Systemvorschriften zu verstossen.
Im Gegenzug verpflichtet sich die DTCC zu detaillierten vierteljährlichen Berichten über Nutzungsdaten, Technologieentscheidungen und etwaige Transaktionsrückabwicklungen. Der No-Action Letter bedeutet, dass die SEC keine Durchsetzungsmassnahmen ergreifen wird, sofern das Programm wie vorgeschlagen umgesetzt wird. Die zeitliche Begrenzung auf drei Jahre entspricht der üblichen Praxis für Pilotprogramme und erlaubt der Behörde eine Neubewertung nach Ablauf der Testphase.
Hochliquide Anlageklassen als Ausgangspunkt der Tokenisierung
Die Genehmigung umfasst zunächst einen definierten Korb hochliquider Instrumente. Dazu zählen sämtliche Komponenten des Russell-1000-Index, der die 1'000 grössten US-Unternehmen nach Marktkapitalisierung abbildet. Ebenfalls eingeschlossen sind Exchange Traded Funds (ETFs), die Indizes nachbilden, sowie US-Staatsanleihen in Form von Treasury Bills, Notes und Bonds. Diese Asset-Auswahl minimiert Liquiditätsrisiken und ermöglicht aussagekräftige Tests der neuen Infrastruktur.
Die Tokenisierung erfolgt über Layer-1- und Layer-2-Blockchain-Netzwerke, deren konkrete Auswahl die DTCC in den kommenden Monaten bekanntgeben wird. Die Organisation hat angekündigt, Details zu Onboarding-Anforderungen und dem Genehmigungsprozess für Blockchain-Netzwerke sowie zur Registrierung von Wallets zu veröffentlichen. Frühere Pilotprojekte der DTCC, darunter die Smart-NAV-Initiative, nutzten bereits Chainlinks Cross-Chain Interoperability Protocol (CCIP), was auf mögliche Kooperationen hindeutet.
DTCC als Rückgrat des US-Finanzsystems
Die Depository Trust & Clearing Corporation fungiert als zentrale Clearing- und Abwicklungsorganisation für den US-Wertpapiermarkt. Die Holdinggesellschaft wurde 1999 gegründet und vereint zentrale Marktinfrastrukturen, darunter die Depository Trust Company (DTC), die bereits seit 1973 besteht. Die DTCC verarbeitet nahezu alle börsennotierten Wertpapiertransaktionen in den Vereinigten Staaten und gilt als systemrelevante Finanzmarktinfrastruktur. Die Tochtergesellschaft DTC überschritt im Juni 2025 erstmals die Marke von 100 Billionen US-Dollar an verwahrten Vermögenswerten – ein historischer Meilenstein.
Zwischen 2020 und 2025 verzeichnete die DTC ein erhebliches Wachstum über sämtliche Anlageklassen hinweg. Der Wert verwahrter Aktien stieg von 49.6 Billionen auf 74.1 Billionen US-Dollar, was einem Plus von 49 Prozent entspricht. Exchange Traded Funds verdoppelten ihr Volumen von 5.5 auf 11 Billionen US-Dollar. Geldmarktinstrumente legten um 28 Prozent auf 4.1 Billionen US-Dollar zu. Insgesamt wuchsen die Assets under Custody von 73.5 auf 100.3 Billionen US-Dollar – ein Anstieg um 37 Prozent.
"Die Tokenisierung des US-Wertpapiermarktes hat das Potenzial, transformative Vorteile wie Mobilität von Sicherheiten, neue Handelsmodalitäten, Zugang rund um die Uhr und programmierbare Vermögenswerte zu bringen. Dies kann jedoch nur erreicht werden, wenn die Marktinfrastruktur eine robuste Grundlage für den Eintritt in dieses neue digitale Zeitalter bietet." - Frank La Salla, CEO der DTCC
Die Tokenisierungsinitiative reiht sich in eine längere Entwicklung ein. Bereits im April 2025 lancierte die DTCC eine Blockchain-basierte Plattform für tokenisiertes Collateral Management, um Effizienz und Echtzeitabwicklung zu verbessern. Die aktuelle SEC-Genehmigung geht jedoch deutlich weiter und erlaubt erstmals die grossflächige Tokenisierung traditioneller Wertpapiere unter direkter Aufsicht der Börsenaufsicht.
Industrie sieht Potenzial für strukturelle Transformation
Die Genehmigung markiert einen seltenen Fall, in dem eine grosse US-Finanzinstitution von der SEC grünes Licht für den Blockchain-Einsatz erhält. Bisherige Tokenisierungsprojekte im Finanzsektor beschränkten sich überwiegend auf private Blockchains oder fanden ausserhalb der USA statt. Die SEC-Genehmigung für die DTCC könnte daher als Signal für einen Paradigmenwechsel in der Regulierungshaltung interpretiert werden, insbesondere vor dem Hintergrund der anhaltenden Debatte über digitale Vermögenswerte.
Für die Blockchain-Industrie eröffnet die Entwicklung neue Perspektiven. Die Integration traditioneller Wertpapiere mit einem Gesamtwert von über 100 Billionen US-Dollar in Blockchain-Infrastrukturen würde die Liquidität dezentraler Finanzmärkte erheblich steigern. Programmierbare Wertpapiere ermöglichen automatisierte Compliance-Prüfungen, intelligente Collateral-Verwaltung und neue Handelsmodelle. Der 24/7-Zugang zu tokenisierten US-Staatsanleihen könnte insbesondere für internationale Investoren Effizienzgewinne bringen.
Die vierteljährlichen Berichte der DTCC an die SEC werden zudem Einblicke in die praktische Umsetzung von Blockchain-Technologie im regulierten Finanzmarkt liefern. Dabei dürfte die Wahl der genehmigten Layer-1- und Layer-2-Netzwerke richtungsweisend für künftige Tokenisierungsprojekte sein. Die DTCC hat angekündigt, die Liste unterstützter Netzwerke sowie technische Anforderungen für Wallet-Registrierungen in den kommenden Monaten zu veröffentlichen.
Ausblick auf breitere Marktadaption
Die dreijährige Pilotphase dient primär der Erprobung technischer und operativer Prozesse. Nach Ablauf wird die SEC auf Basis der gesammelten Daten entscheiden, ob und in welcher Form eine permanente Genehmigung erteilt wird. Die Beschränkung auf hochliquide Instrumente minimiert systemische Risiken und erlaubt eine schrittweise Ausweitung auf weitere Anlageklassen.
Für traditionelle Finanzinstitute könnte die DTCC-Initiative als Blaupause dienen. Zahlreiche Banken und Vermögensverwalter beobachten Tokenisierungsprojekte, zögerten bisher jedoch aufgrund regulatorischer Unsicherheiten. Der No-Action Letter der SEC schafft erstmals einen klaren rechtlichen Rahmen für die Tokenisierung von Wertpapieren in den USA. Dies dürfte weitere Marktteilnehmer ermutigen, eigene Blockchain-Initiativen zu lancieren oder mit der DTCC zu kooperieren.








