Die aktuelle Wirtschaftskrise und die ultralockere Geldpolitik der Zentralbanken werfen viele Fragen auf. Ein Strukturwandel scheint unaufhaltsam. Welche Rolle werden Digitalisierung, Blockchain Technologie sowie digitale Währungen und Vermögenswerte einnehmen?
Diese und weitergehende Fragen beantwortet Dr. Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank. De la Rubia hat 25 Jahre Finanzmarkterfahrung und ist als Experte für digitales Zentralbankgeld und blockchainbasierte private Währungen ein gefragter Sprecher auf namhaften Konferenzen.
CVJ.CH: Derzeit gibt es einige Themen welche die Wirtschaft und die Finanzwelt auf Trab halten. Wie beurteilen sie das massive Eingreifen von Zentralbanken, insbesondere der Fed, in den Markt?
Dr. Cyrus de la Rubia: Wir haben es mit einer der schwersten Krisen der Nachkriegszeit zu tun und die Notenbanken haben aus der Erfahrung der 1930er Jahre gelernt. Damals hat man nicht eingegriffen und es zugelassen, dass es zu einer deflationären Abwärtsspirale gekommen ist. Die Zinssenkungen und insbesondere die Ankäufe von Anleihen sind dazu da, damit die Märkte nicht einfrieren und Unternehmen reihenweise aus Mangel an Liquidität in die Insolvenz rutschen. Bei alledem wird es aber eine Herausforderung sein, sich als Zentralbank irgendwann aus dem Marktgeschehen wieder zurückzuziehen, ohne dass die Märkte wieder in Turbulenzen stürzen. Das erfordert von Seiten der Notenbanken sehr viel kommunikatives Fingerspitzengefühl und den Mut, Rückschläge auszuhalten.
Welche Auswirkungen wird die aktuelle Geldpolitik der Zentralbanken mittelfristig auf die globale Ökonomie haben?
Wir werden zunächst relativ lange eine extrem lockere Geldpolitik haben. Die Leitzinsen werden auf den extrem niedrigen Niveaus bleiben, vielleicht sogar noch gesenkt. Die langfristigen Renditen werden, auf Sicht von den nächsten 18 bis 24 Monaten, vermutlich kaum steigen. Dieses Umfeld wird zunächst dazu beitragen, dass viele Produktionskapazitäten überleben, die ansonsten verschwinden würden.
In einigen Fällen mag diese Geldpolitik auch dazu beitragen, dass bestimmte Wirtschaftsstrukturen erhalten bleiben, die unter normalen Finanzierungsbedingungen nicht überlebensfähig wären. Insgesamt aber dürfte der sich abzeichnende Strukturwandel, der durch die Rezession und durch die Corona-Pandemie beschleunigt wird, nicht in entscheidender Weise aufgehalten werden. Stichworte sind hier Konsolidierung, Automatisierung und Digitalisierung.
Welche Konsequenz hat die US-Handelspolitik sowie der Handelskrieg mit China auf die Dynamiken des Welthandels?
Schon seit der Finanzmarktkrise von 2008/2009 ist zu beobachten, dass der internationalen Handel in einem geringeren Tempo expandiert als während der Zeit der Hyperglobalisierung, die wir in den 1990er und insbesondere den 2000er Jahren erlebt haben. Die dezidiert protektionistisch ausgerichtete US-Handelspolitik hat diesen Trend noch verschärft. Am schwersten wirkt möglicherweise die Corona-Krise, die vielen Unternehmen vor Augen geführt hat, wie verletzlich globale Wertschöpfungsketten sind. Abgesehen von dem zweistelligen Einbruch beim Welthandel, der durch die Corona-Krise ausgelöst wurde, ist eine stärkere Re-regionalisierung des Handels zu erwarten. Man wird aber keineswegs auf internationale Arbeitsteilung verzichten, sondern über eine stärkere Diversifizierung der Zulieferketten und Zulieferwege sowie eine höhere Lagerhaltung eine größere Resilienz in der Produktion anstreben. Per Saldo wird der internationale Handel langfristig mit einer geringeren Rate expandieren als das früher der Fall war.
Wird die Einführung des digitalen Yuans den Handelskrieg befeuern, respektive die Leitwährung US Dollar gefährden?
Wir wissen noch nicht, wann und in welcher Form der digitale Yuan eingeführt wird. Sollte er einfach in Form von Zentralbankkonten für jedermann eingeführt werden, dürfte sich möglicherweise gar nicht so viel ändern. Bei einer Blockchainbasierten Währung könnte das schon anders sein, weil in diesem Fall die Währung vermutlich in einer einfacheren Weise mit wichtigen Handelspartnern interoperabel gemacht werden könnte. Hier könnte China von anderen Schwellenländern eine entsprechende Zusammenarbeit einfordern.
Zu einer globalen Leitwährung gehört allerdings noch mehr. Der US-Dollar wird ja nicht nur deswegen global anerkannt, weil mit dieser Währung ein Großteil des internationalen Handels abgewickelt wird. In erster Linie ist es vielmehr die Tatsache, dass die USA in den internationalen Kapitalmarkt integriert ist und amerikanische Aktien, Anleihen und andere Wertpapiere rund um den Globus gehandelt werden können. Damit ist es attraktiv, etwa für Zentralbanken, den US-Dollar als Reservewährung zu halten. Das ist beim Yuan anders und die Digitalisierung des Yuan wird daran grundsätzlich nichts ändern. Denn der internationale Kapitalverkehr Chinas wird streng reguliert und es ist eben für Kapitalanleger außerhalb von China nicht ohne weiteres möglich, chinesische Aktien im großen Maßstab zu kaufen oder zu verkaufen.
Was sind die primären Gründe, weshalb sich Zentralbanken mit CBDC's beschäftigen und welche Rolle spielen «private» Stablecoins wie Facebook’s Libra Projekt in Zukunft?
Die Bank für Internationale Zusammenarbeit hat in einer Umfrage festgestellt, dass mittlerweile rund 20% aller befragten Zentralbanken es als relativ wahrscheinlich erachten, dass sie in den nächsten ein bis sechs Jahren eine digitale Zentralbankwährung emittieren. Hier ist wirklich Dynamik aufgekommen, und das hat unter anderem mit Libra zu tun. Viele Zentralbanken sehen sich hier im Wettbewerb mit einem möglichen privaten Konkurrenten. Und ich nehme an, dass der Start des Libra-Projektes vielen Zentralbanken noch einen Schub geben wird und die Einführung einer digitalen Währung erneut beschleunigen könnte, auch wenn deren Einführung sowohl technisch als auch juristisch keineswegs trivial ist.
Der übergeordnete Gedanke, der viele Notenbanken leitet ist, dass man den Menschen eine Geldform zur Verfügung stellen kann, die letztlich für mehr Komfort und weniger Kosten sorgt. Offensichtliche Einsparungen ergeben sich, wenn man auf die physische Verteilung von Bargeld verzichten kann und in diesem Zusammenhang keine Geldtransporter und Sicherheitsdienste benötigt. Viele Notenbanker erhoffen sich auch mehr finanzielle Inklusion, wenn über eine einfache Infrastruktur, etwa das Smartphone, jedem Menschen über eine App Zugang zu Zentralbankgeld und zum digitalen Zahlungssystem gewährleistet werden kann. Darüber hinaus spielt denke ich auch die Programmierbarkeit von Geld eine Rolle, die im Fall eines blockchainbasierten CBDC möglich ist.
In skandinavischen Ländern geht die Entwicklung immer weiter zum bargeldlosen Zahlen. Was halten Sie von diesem Trend und wohin könnte diese Entwicklung in naher Zukunft hinführen?
Von dem Trend kann man halten was man will. Tatsache ist, dass es diesen Trend in vielen Ländern gibt. Viele Menschen finden es einfach bequemer, Transaktionen ohne Bargeld durchzuführen und viele Geschäfte freuen sich, dass sie nicht jeden Tag dafür Sorge tragen müssen, dass genügend Wechselgeld in der Kasse ist. Was viele Menschen aber vermutlich übersehen, ist, dass sie ohne Bargeld im heutigen System keinen Zugang zu Zentralbankgeld mehr haben, sie sind dem privaten Banken- und Kreditkartensystem ausgeliefert. Da kann die Einführung von CBDC Abhilfe schaffen.
Bitcoin als digitaler Wert war in den vergangenen Jahren von einer starken Volatilität geprägt. Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung der Krypto-Währung ein?
Bitcoin ist immer noch für 99,9% aller Menschen ein extrem abstraktes Konzept. Die meisten verstehen nicht, wie die Bitcoin-Blockchain funktioniert. Entsprechend sind viele Anleger, die direkt oder indirekt über Zertifikate Bitcoin gekauft haben, sehr unsicher über den fairen Wert für diese Währung, das sorgt für größere Schwankungen. Und natürlich ist die Liquidität in diesem Markt immer noch relativ begrenzt. Bitcoin hat eine Marktkapitalisierung von derzeit 170 Milliarden US-Dollar. Die Marktkapitalisierung Apples ist zehn Mal so hoch. Wenn ein Anleger eine größere Position kauft oder verkauft, macht sich das entsprechend in Kursschwankungen bemerkbar.
Bitcoin ist immer noch für 99,9% aller Menschen ein extrem abstraktes Konzept.
Was man aber feststellen kann, dass Bitcoin in der Krise zunächst ordentlich hat Federn gelassen, sich dann aber auch wieder erholt hat. Das ist ein gutes Zeichen. Gold hat zwar noch mehr profitiert, aber viele Menschen fühlen sich mit Bitcoin tatsächlich wohler als wenn sie das Ersparte einfach auf dem Girokonto halten. Und das hat damit zu tun, das muss man ehrlicherweise sagen, dass Geldpapier auch ein relativ abstraktes Konstrukt ist, das viele nicht verstehen. Die Anleiheankäufe mit neu gedrucktem elektronischem Geld verstärken dabei die Abstraktheit.
Werden sich digitale Währungen als Anlageklasse durchsetzen?
Ich glaube es gibt heute nur wenige Vermögensberater, die von ihren Kunden nicht gefragt werden, wie sie in Kryptowährungen investieren können. Gleichzeitig gibt es mittlerweile auch Bitcoin-Futures, die es institutionellen Anlegern erlauben, sich gegen Kursschwankungen abzusichern bzw. mit Hilfe von Future-Kontrakten in Bitcoin zu investieren, ähnlich wie das bei Rohöl der Fall ist. Da ist man bei vielen anderen Kryptowährungen noch nicht so weit. Angesichts der relativ kleinen Marktkapitalisierung werden Kryptowährungen in den nächsten Jahren in der Breite keine dominante Rolle spielen können. Aber es liegt nahe, einen kleinen niedrigen einstelligen Prozentsatz seines Vermögens auch in Bitcoin anzulegen.
Wie wird die Blockchain Technologie und digitale Währungen unsere Wirtschaft und unser Leben in den nächsten Jahren beeinflussen?
Ich vermute, dass es zunächst vor allem digitale blockchainbasierte Stablecoins, und hier vor allem die Libra, sein werden, die unser Leben verändern. Wobei der Betroffenheitsgrad unterschiedlich sein wird. Gastarbeiter, die Geld nach Hause schicken, könnten beispielsweise erheblich Geld sparen, wenn sie in Zukunft Libra überweisen, statt den kostspieligen und langwierigen Weg über das traditionelle Bankensystem zu gehen. Für Bürger aus Hochinflationsländern, die bislang ihre Ersparnisse in Dollar oder Euro getauscht haben, um sich vor Kaufkraftverlusten zu schützen, bieten Stablecoins möglicherweise auch eine wesentlich kostengünstigere Alternative, um Vermögen aufzubewahren.
In entwickelten Volkswirtschaften spielen diese Aspekte für die meisten Menschen keine so große Rolle. Allerdings ist es gut möglich, dass internationale Kleinsttransaktionen im Zusammenhang mit Digitalen internetbasierten Dienstleistungen zunehmen werden, da die damit verbundenen Transaktionskosten gegen Null gehen dürften. Das eröffnet neue Geschäftsmodelle. Außerdem wird programmierbares Geld vermutlich eine Welle von neuartigen Finanzkontrakten auslösen, beispielsweise im Versicherungsbereich.
Was die Blockchaintechnologie generell angeht, kann es zu einer verstärkten Tokenisierung von Vermögenswerten kommen. Im Immobilienbereich gibt es bereits erste Transaktionen, in denen Token als Beteiligung an Immobilienprojekten verkauft wurden. Vorstellbar ist auch, dass das Notarwesen revolutioniert wird, wenn beispielsweise blockchainbasierte Grundbücher den Eigentumsnachweis erleichtern. Vermutlich wird es noch eine Weile dauern, bis man an diesen Fronten größere Fortschritte sieht, zumal rechtliche Fragen und Besitzstandswahrung sich erfahrungsgemäß als hartnäckige Bremsen herausstellen können.
Herr Dr. Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, hat 25 Jahre Finanzmarkterfahrung und ist als Experte für digitales Zentralbankgeld und blockchainbasierte private Währungen ein gefragter Sprecher auf namhaften Konferenzen. De la Rubia war acht Jahre Dozent an der Frankfurt School of Finance and Management und arbeitet auf Projektbasis für Berlin Economics, eine wirtschaftspolitische Beratungsgesellschaft für Schwellenländer.