Binance liess laut einer Untersuchung der Financial Times auch nach dem Schuldbekenntnis vom November 2023 verdächtige Transaktionen von Hunderten Millionen Dollar zu. Die Börse hatte zuvor eine Strafzahlung von 4.3 Milliarden Dollar geleistet.
Die Recherche basiert auf durchgesickerten internen Dokumenten. Diese zeichnen die Geldströme von 13 Konten nach – Gesamtvolumen: 1.7 Milliarden Dollar. Davon flossen 144 Millionen Dollar nach Abschluss der Vereinbarung mit den US-Behörden. Die FT analysierte dabei Transaktionsmuster, die auf systematische Verstösse gegen Geldwäschereivorschriften hindeuten. Besonders auffällig: Konten venezolanischer Staatsangehöriger ohne erkennbare wirtschaftliche Grundlage bewegten dreistellige Millionenbeträge. Gleichzeitig zeigen technisch unmögliche Login-Muster mangelnde Sicherheitskontrollen.
Venezolanische Konten mit neunstelligen Transaktionsvolumen
Ein Bewohner eines venezolanischen Armenviertels bewegte gemäss den FT-Dokumenten zwischen 2021 und 2025 insgesamt 93 Millionen Dollar über sein Binance-Konto. Ein Teil der Gelder stammte dabei aus Netzwerken, die US-Behörden später beschuldigten, Gelder für den Iran und die Hisbollah zu transferieren. Das Konto blieb dennoch aktiv. Binance hatte jedoch im Rahmen der Strafvereinbarung zugesagt, seine Transaktionsüberwachung und Sanktionskontrollen zu verstärken.
Ein weiteres Konto einer venezolanischen Frau erhielt laut der Recherche 177 Millionen Dollar an Einzahlungen. Besonders verdächtig: Innerhalb von 14 Monaten änderte sie die hinterlegten Bankverbindungen 647-mal. Insgesamt nutzte sie dabei 496 verschiedene Konten. Die Frau soll gemäss Gerichtsdokumenten als Strohfrau für ein Goldschmuggelnetzwerk fungiert haben. Das Netzwerk transferierte Material zwischen Venezuela und dem Iran. Dort finanzierte das Gold angeblich Terroraktivitäten iranischer Stellvertreter.
Die schiere Anzahl der Kontoänderungen deutet auf ein systematisches Vorgehen hin. Ziel: Geldflüsse verschleiern. Compliance-Systeme etablierter Finanzinstitute markieren solche Muster typischerweise automatisch und sperren das Konto.
Technisch unmögliche Login-Muster deuten auf fehlende Kontrollen hin
Die von der Financial Times analysierten Daten zeigen zudem Login-Aktivitäten, die physisch unmöglich erscheinen. Ein Konto rief jemand beispielsweise um 15:56 Uhr in Caracas (Venezuela) auf, am folgenden Tag bereits um 01:30 Uhr in Osaka (Japan). Solche Muster deuten entweder auf Credential-Sharing zwischen mehreren Akteuren hin. Alternativ zeigen sie unzureichende Sicherheitsmechanismen, die automatisierte Zugriffe nicht erkennen.
Etablierte Börsen setzen standardmässig Geo-Location-Überwachung ein. Diese Systeme erkennen physisch unmögliche Zugriffssequenzen automatisch. Bei verdächtigen Mustern folgen typischerweise eine Kontosperrung und eine manuelle Überprüfung. Dass solche Konten bei Binance über Jahre aktiv blieben, wirft daher Fragen zur Wirksamkeit der implementierten Kontrollen auf.
Mehrere der untersuchten Konten erhielten insgesamt 29 Millionen Dollar von Wallets, die Israel später unter Anti-Terror-Gesetzen einfror. Diese Wallets stehen in Verbindung mit Tawfiq Al-Law, einem in Syrien ansässigen Geldwechsler. Al-Law transferiert laut US-Behörden Gelder für die Hisbollah und die Houthi-Rebellen. Die US-Sanktionsbehörde OFAC sanktionierte ihn im Rahmen ihrer Massnahmen gegen die Terrorfinanzierung durch den Iran.
Die Verbindung zwischen den Binance-Konten und sanktionierten Wallets wirft die Frage auf: Verschärfte die Börse ihre Screening-Prozesse tatsächlich wie versprochen? Moderne Blockchain-Analysetools ermöglichen es jedenfalls, solche Zusammenhänge bereits bei der Transaktion zu erkennen und zu blockieren.
Trump-Begnadigung und geschäftliche Verflechtungen
Im Oktober 2024 begnadigte US-Präsident Donald Trump den Binance-Gründer Changpeng Zhao für dessen Rolle bei den Geldwäschereiverstössen. Zhao hatte zuvor vier Monate im Gefängnis verbracht und eine persönliche Strafe von 50 Millionen Dollar gezahlt. Der Gründer war im November 2023 zurückgetreten und hatte sich schuldig bekannt, gegen den Bank Secrecy Act verstossen zu haben.
Das Justizministerium hatte Zhao damals vorgeworfen, wissentlich ein Geschäftsmodell aufgebaut zu haben, das Kriminellen Zugang ermöglichte. Binance verfügte laut Anklage jahrelang über kein funktionierendes Know-Your-Customer-Programm. Die Börse akzeptierte Kunden aus sanktionierten Jurisdiktionen wie dem Iran, Nordkorea und Syrien. Transaktionen mit US-Nutzern im Wert von über 898 Millionen Dollar flossen zwischen 2018 und 2022 an iranische Nutzer.
Im Dezember 2025 kündigte die von der Trump-Familie kontrollierte World Liberty Financial eine "massive Expansion" ihres USD1-Stablecoins auf Binance an. Die Börse integrierte USD1 in wichtige Handelspaare. Zudem plant sie, sämtliche Sicherheiten für Binance-Peg BUSD im Verhältnis 1:1 in USD1 zu konvertieren. Die geschäftliche Nähe zwischen Binance und der Trump-Familie hat Fragen zur politischen Einflussnahme aufgeworfen.
Die Begnadigung erfolgte zu einem kritischen Zeitpunkt. Binance hatte im September 2025 mit World Liberty Financial einen Deal über die Integration des USD1-Stablecoins abgeschlossen. Das Timing wirft laut Kritikern Fragen auf: Profitierte Zhao von seiner geschäftlichen Nähe zur Trump-Familie? Die Antwort bleibt spekulativ, jedoch dokumentieren die FT-Recherchen konkrete Compliance-Verstösse während und nach der Überwachungsperiode.
Binance weist Vorwürfe zurück – Behörden prüfen Monitor-Beendigung
Binance wies die Vorwürfe der Financial Times zurück. Die Börse erklärte, sie unterhalte "strikte Compliance-Kontrollen und verfolge einen Null-Toleranz-Ansatz" gegenüber illegalen Aktivitäten. Binance verwies zudem auf Investitionen in Überwachungstechnologie und die Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden.
Gleichzeitig prüfen US-Bundesstaatsanwälte Berichten zufolge einen Antrag von Binance. Die Börse möchte die dreijährige Überwachung durch einen unabhängigen Monitor vorzeitig beenden. Die Überwachung war Teil der Strafvereinbarung vom November 2023. Sie sollte sicherstellen, dass Binance seine Geldwäscherei- und Sanktionsprogramme tatsächlich reformiert.
Ein unabhängiger Compliance-Monitor überprüft typischerweise nicht nur technische Systeme, sondern auch deren praktische Anwendung. Die FT-Recherche legt nahe, dass zwischen den auf dem Papier implementierten Kontrollen und deren tatsächlicher Durchsetzung eine erhebliche Lücke klafft. Transaktionen, die jede moderne Compliance-Software hätte markieren müssen, liefen offenbar ungehindert durch das System.
Die FT-Recherche wirft nun die Frage auf: Greifen diese Reformbemühungen tatsächlich? Die dokumentierten Fälle deuten auf wesentliche Schwachstellen hin. Dazu gehören technisch unmögliche Login-Muster, Verbindungen zu sanktionierten Terror-Netzwerken sowie neunstellige Transaktionen durch wirtschaftlich nicht erklärbare Konten. Sollten die Behörden die Überwachung vorzeitig beenden, werten Kritiker dies als Signal: Politische Erwägungen stehen über rechtsstaatlichen Kontrollen.







