Das Bitcoin-Netzwerk ist transparent. Jeder Netzwerkteilnehmer kann in Echtzeit beobachten, wie viele Bitcoins im Netzwerk existieren und an welche Adressen diese versendet werden. Haben grosse Transfers eine Auswirkung auf den Preis?
Sofern ein Marktteilnehmer Bitcoins im Wert von vielen Millionen Euro versendet, bleibt dies nicht ungesehen. Im Gegenteil, Transaktionsdaten und -historie sind für alle Marktteilnehmer öffentlich einsehbar. Die finale Abwicklung von Transaktionen spielt dabei eine besondere Rolle, denn die Bestätigung von Bitcoin-Transaktionen erfolgt im Schnitt „nur“ alle zehn Minuten.
Vor Ablauf dieses Zeitfensters befinden sich Transfers mehrere Minuten in einer Art Wartehalle, dem sogenannten Mempool, in dem initiierte - jedoch noch nicht abgewickelte Transfers - alloziert werden. Da der Mempool ebenfalls öffentlich einsehbar ist, können bzw. könnten die übrigen Marktteilnehmer Informationen über einen Transfer in der Regel bereits vor dessen Abwicklung nutzen.
Anzeichen für Verkaufsdruck
In unserem kürzlich im Fachjournal Finance Research Letters veröffentlichten Artikel haben wir analysiert, wie und inwiefern der Bitcoin-Markt auf grosse Bitcoin-Transaktionen auf der Blockchain („on-chain“) reagiert. Eine „grosse“ Transaktion haben wir hierzu mit einem Wert in Höhe von 500 oder mehr Bitcoins definiert - rund 20 Millionen Euro. In unserer Studie stellen wir die Hypothese auf, dass das Auftreten einer grossen Bitcoin-Transaktion vom Markt als ein Zeichen von Unsicherheit interpretiert werden kann. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass hinter jeder Transaktion grundsätzlich ein individuelles, bestimmtes Motiv steckt, über dessen Inhalt die anderen Marktteilnehmer in der Regel keine Kenntnis haben.
Sollten sich also plötzlich grosse Mengen Bitcoins, die gegebenenfalls mehrere Jahre unberührt auf einer Adresse lagen, im Rahmen einer Transaktion bewegen, könnte dies auf das Motiv des Besitzers hindeuten, die Bitcoins veräussern zu wollen. Dem Prinzip von Angebot und Nachfrage folgend, könnte ein solcher Verkauf kurzfristig zu einem negativen Preiseffekt führen. Obgleich eine Bitcoin-Transaktion keineswegs zu einem solchen Verkauf führen muss, gelangen wir zu der Annahme, dass der Markt die mit einer solchen Transaktion verbundene Unsicherheit durchaus als negatives Preissignal interpretieren könnte.
Analyse von 2'132 Bitcoin-Transaktionen
Für unsere Analyse haben wir alle 2'132 Blockchain-Transaktionen mit einem Gegenwert von 500 oder mehr Bitcoins zwischen Oktober 2018 und September 2019 extrahiert. Die folgende Grafik zeigt die durchschnittliche Preisentwicklung von Bitcoin vor und nach dem Auftreten von grossen Transaktionen auf der Bitcoin-Blockchain.
Die Analyse erfolgte auf Basis der Event Study-Methodik, bei der die durchschnittliche Rendite eines in der Vergangenheit liegenden Zeitfensters mit der Rendite um ein Ereignisfenster herum verglichen wird. Sofern die Renditen im Ereignisfenster höher oder niedriger ausfallen als die historische Rendite, spricht man von der sogenannten „abnormalen Rendite“, welche explizit mit dem Auftreten des Ereignisses - in unserem Fall der grossen Bitcoin-Transaktion - erklärt werden kann.
Renditen fallen kurz nach Auftreten eines grossen Transfers
Der Blick auf die Abbildung zeigt, dass der Bitcoin-Preis im Schnitt über alle 2'132 Ereignisse bis kurz vor dem Zeitpunkt der Events steigt, woraufhin er im Anschluss bis etwa 5 Minuten nach der Transaktion fällt und zum Ende hin wieder vergleichsweise stark ansteigt. So können diese Erkenntnisse als erster valider Hinweis dienen, der Anlass für eine detailliertere Analyse bietet.
Im Rahmen unserer Analyse konnten wir signifikante negative Preiseffekte für die Minuten dicht um die Ereignisse und positive Effekte über den Zeitraum vom Ereignis bis 15 Minuten danach identifizieren. Dies lässt den Schluss zu, dass grosse Bitcoin-Transfers – wie eingangs vermutet – vom Markt als relevante Informationen behandelt werden.
Clustering von Bitcoin-Adressen
Eine differenzierte Betrachtung des Sachverhalts lässt hingegen vermuten, dass die ganzheitliche Betrachtung aller grossen Bitcoin-Transfers möglicherweise gewissen Limitationen unterliegt. So kann die Analyse insbesondere durch sich gegenseitig aufhebende Effekte verfälscht werden.
Obgleich das Bitcoin-Netzwerk pseudonym ist, lassen sich bestimmte Informationen über Bitcoin-Adressen öffentlich identifizieren. Als Beispiel seien die Einzahlungsaddressen grosser Krypto-Börsen genannt, die öffentlich bekannt sind. Marktteilnehmer können somit quasi in Echtzeit verfolgen wie Kunden der Börsen Bitcoins ein- oder auszahlen. So lässt sich argumentieren, dass eine Einzahlung auf einen zukünftigen Verkauf hindeuten könnte, wohingegen eine Auszahlung eher gegen einen kurzfristigen Verkauf dieser Bitcoins spricht.
🚨 🚨 699 #BTC (22,563,588 USD) transferred from unknown wallet to #Coinbasehttps://t.co/3DR9ItwXFv
— Whale Alert (@whale_alert) July 15, 2021
Ein Beispiel liefert dieser Tweet, bei dem es sich um einen Beitrag eines Twitter-Accounts handelt, der automatisiert grosse Transfers von Kryptowährung tracked und – sofern die Adressen bekannt sind – Informationen über Sender und Empfänger bekanntgibt.
Effekte unterscheiden sich deutlich je nach Art der Transaktion
Um unserer Analyse eine höhere Aussagekraft und praktische Relevanz zu verleihen, erfolgte nachfolgende Kategorisierung der 2'131 Transfers auf Basis ihrer Sender- und Empfängeradressen:
- Nicht börsenbezogene Transaktionen (20%)
- Cold Wallet Einzahlungen (2%)
- Cold Wallet Auszahlungen (6%)
- Hot Wallet Einzahlungen (27%)
- Hot Wallet Auszahlungen (43%)
Anschliessend wurden diese fünf Gruppen wiederum als einzelne Samples genutzt, um die vorangegangene Analyse zu wiederholen. Die kumulativen abnormalen Renditen für die fünf Cluster nebst dem Ergebnis für alle Transfers zeigt die nachfolgende Abbildung. In Bezug auf die fünf Cluster zeichnen sich signifikante Unterschiede ab. Nicht börsenbezogene Transaktionen und Cold Wallet Einzahlungen - sowohl vor als auch nach der eigentlichen Abwicklung - resultieren in negativen abnormalen Renditen, wohingegen Cold Wallet Auszahlungen in dem 31-minütigen Ereignisfenster quasi konsistent positive abnormale Renditen zeigen.
Für Einzahlungen auf Börsen konnten kaum relevante (bzw. signifikante) Ergebnisse identifiziert werden, wohingegen sich das Bild für Auszahlungen ganz anders darstellte. Zeigten sich die abnormalen Renditen vor dem eigentlichen Transfer hier noch leicht negativ, schossen sie etwa 9 Minuten nach dem Transfer stark positiv in die Höhe.
Fazit
Unsere Studie zeigt, dass Grösse und mutmassliche Motive von (grossen) Bitcoin-Transaktionen Teil der Marktstruktur von Bitcoin sind. Marktteilnehmer scheinen Bitcoin-Transaktionen zu beobachten und ihr Verhalten entsprechend anzupassen. Die Ergebnisse unserer Studie bieten die Grundlage für eine Vielzahl an weiteren möglichen Untersuchungen, welche sich neben der Analyse von Bitcoin Transfers auch auf weitere Merkmale wie das Handelsvolumen oder Adressen anderer Marktteilnehmer, z.B. von Minern, Stablecoins, Ether oder Non-fungible tokens (NFTs) erstrecken können.
So bieten sich aktuelle Anknüpfungspunkte insbesondere im Umfeld der Ethereum-Blockchain, wo das Thema On-Chain-Transaktionen in jüngster Vergangenheit stark an Bedeutung gewonnen hat und im Speziellen das Thema der Bevorzugung von Transaktionen durch Miner (Stichwort: miner extractable value, MEV) im Kontext des sog. Frontrunnings auf dezentralen Börsen wie Uniswap aktuell ein hohes Mass an Aufmerksamkeit erfährt.