Nur wenige Monate nach dem Three Arrows Debakel gerät der nächste milliardenschwere Akteur ins Wanken. Die Krypto-Börse FTX und deren grössten Market Maker Alameda Research enthüllen nach langem hin und her mit Binance ein gewichtiges Loch in ihrer Bilanz. Nun droht eine Insolvenz und die potenzielle Übernahme.
Die Krypto-Börse FTX hat eine beeindruckende Geschichte hinter sich. Erst 2019 "für Trader, von Tradern" gegründet gelang dem Gründer Sam Bankman-Fried (aka SBF) ein rascher Aufstieg in die Top 3 der Krypto-Handelsbörsen, der nur der Erfolgsgeschichte von Binance (gegründet 2017, ab 2019 volumenstärkste Krypto-Börse) nachsteht. Hinzu kommt ein hoch profitabler Bullenmarkt für das ebenfalls von SBF gegründete Handelshaus Alameda Research. Doch ironischerweise tritt Bankman-Fried jetzt in die Fussstapfen der insolventen Unternehmen (Voyager, Celsius, etc.), die er vor wenigen Monaten noch stolz mit Liquiditätsspritzen versogen wollte.
Update 10.11.2022: Nach nur einem Tag zog Binance ihr Angebot zurück; der Schaden sei grösser als erwartet. Laut dem WallStreetJournal beträgt die ungedeckte Summe in der Bilanz von FTX rund 8 Milliarden USD. Einer anonymen Reuters-Quelle ist zu entehmen, dass mindestens 4 Milliarden USD davon an Alameda Research geliehen wurden. Darunter auch Kundengelder.
Update 11.11.2022: Die zu den 3 grössten zugeordneten Kryptobörsen hat mit ungedeckten Schulden in der Höhe von mehr als $10 Mrd. Insolvenz angemeldet. Das ist mit Abstand der größte Konkurs in den USA in diesem Jahr, von dem Anleger und andere Gegenparteien in aller Welt betroffen sind. Sam Bankman-Fried tritt als Vorstandsvorsitzender der FTX-Gruppe zurück. Selbst in der Welt der Kryptowährungen, in der zahlreiche Unternehmen aufgestiegen und gefallen sind, ist die Insolvenz von FTX aufgrund seiner Tragweite eine außergewöhnliche Situation.
Alameda und FTX: ein kontroverses Verhältnis
Um die aktuelle Situation zu verstehen, sind einige Hintergründe über die Geschichte der Unternehmungen SBF's von Bedeutung. Den Einstieg in die Krypto-Märkte wagte der ehemalige Jane Street Händler nämlich erst im Jahr 2017 - verglichen mit anderen erfolgreichen Persönlichkeiten in der Branche eher spät. Erfahren mit Arbitrage-Handel aus der traditionellen Finanzwelt erkannte Bankman-Fried grosses Potenzial in der noch jungen und ineffizienten Krypto-Industrie. So gründete er noch im selben Jahr seine eigene quantitative Handelsfirma: Alameda Research. Das Unternehmen begann vorerst mit Arbitrage-Handel zwischen zentralisierten Börsen, weitete seinen Kompetenzbereich jedoch rasch ins Market Making und VC-Investieren aus.
Nach zwei erfolgreichen Jahren war der damals 27-jährige Unternehmer bereit, seine eigene Börse zu starten. Durch ein strategisches Investment der schon damals führenden Krypto-Börse Binance konnte sich FTX früh als Innovator im Bereich der Derivatemärkte etablierten. Mit Alameda Research als Market Maker wurde ausgiebige Liquidität bereitgestellt. Es schien alles perfekt zu laufen für Bankman-Fried. Sein Handelshaus wuchs in den zweistelligen Milliardenbereich, FTX kämpfte alsbald mit Coinbase um Rang 2 der Krypto-Börsen, und dank durchdachten Schachzügen in der US-amerikanischen Lobby-Landschaft übte SBF auch politisch seinen Einfluss aus.
Der FTT-Token wird zum Verhängnis
Diese scheinbar makellose Erfolgsgeschichte wurde erstmals vor einer Woche in Frage gestellt. Ein durchgesickertes Dokument deckte die Bilanz von Alameda Research auf und enthüllte ein hochverschuldetes Unternehmen, das ausstehende Kredite im Milliardenbereich gegen den FTX-Börsentoken FTT offenbarte. Rund 8 Milliarden USD an Schulden standen gegenüber 14.6 Milliarden USD an Assets, von denen ca. 6 Milliarden USD in FTT und 3.3 Milliarden USD in Solana-Token investiert waren. Böse Erinnerungen an das Three Arrows Debakel kamen wieder auf.
Obwohl das Dokument sowohl von SBF als auch von Alameda Research CEO Caroline Ellison als "veraltet" und "inakkurat" abgestempelt wurde, führte es bei vielen Marktteilnehmern zu Stirnrunzeln. Darunter auch einer ihrer frühesten Investoren und Gründer der konkurrierenden Krypto-Börse Binance, Changpeng Zhao (aka CZ). Weniger als eine Woche nach dem Zirkulieren des erwähnten Dokuments kündigte der Binance-CEO an, dass ihr Venture-Arm die 500 Millionen USD in übrigen FTT verkaufen werde. Zugeschrieben wurde der Entscheid "jüngsten Offenbarungen."
As part of Binance’s exit from FTX equity last year, Binance received roughly $2.1 billion USD equivalent in cash (BUSD and FTT). Due to recent revelations that have came to light, we have decided to liquidate any remaining FTT on our books. 1/4
— CZ 🔶 BNB (@cz_binance) November 6, 2022
Der Stein kommt ins Rollen
Nur zwei Tage später sollten sich die Befürchtungen bewahrheiten. Nutzer begannen mit Massenauszahlungen von FTX im Milliardenbereich und FTX wurde gezwungen, Auszahlungen grösserer Summen einzustellen. Panik setzte ein. Ein erster Einbruch löschte 30% des FTT-Marktwerts aus, und einige Stunden danach erfolgte eine Liquidationsspirale von 80%.
Wie der konsequente Einbruch des gesamten Markts bewies (Bitcoin -16% in 4h), rangelte SBF's Konstrukt um Liquidität. Was vor wenigen Tagen noch als Gerücht abgetan wurde, bewies sich innert schmerzhafter Kürze als Realität. Ein weiteres hochprofitables Krypto-Imperium implodierte aufgrund massloser Überhebelung. Betroffen sind leider nicht nur SBF's Unternehmungen, sondern erneut drohen tausenden an Kunden der Totalverlust. Der Leitspruch "not your keys, not your coins" bewahrheitet sich einmal mehr.
Binance erwägt vollständige Übernahme
Dann folgt das erste offizielle Statement von Bankman-Fried. Er bestätigte die Liquiditätsprobleme seiner Krypto-Börse und kündigte einen potenziellen Verkauf von FTX an. Es stehe eine Vereinbarung mit Binance im Raum, die eine Komplettübernahme vorsah. Der erste, und nun möglicherweise letzte, FTX-Investor sei zentral, um die derzeitigen Liquiditätsengpässe zu beseitigen. Die Transaktion befindet sich jedoch in frühen Stadien und könnte nach der bevorstehenden Sorgfältigkeitsprüfung zurückgezogen werden.
This afternoon, FTX asked for our help. There is a significant liquidity crunch. To protect users, we signed a non-binding LOI, intending to fully acquire https://t.co/BGtFlCmLXB and help cover the liquidity crunch. We will be conducting a full DD in the coming days.
— CZ 🔶 BNB (@cz_binance) November 8, 2022
FTX Insolvenz illustriert mangelnde Transparenz von Kryptobörsen
Wie gross das Loch in der Bilanz von FTX ist, wird sich zeigen. Auch über die Situation von Alameda Research ist noch nichts weiteres bekannt. Doch der Vorfall demonstriert den eigentlichen Anwendungsfall der Krypto-Branche einmal mehr. Intransparente, zentralisierte Finanzkonstrukte werden, solange menschliche Parteien involviert sind, immer anfällig bleiben.
Nicht zuletzt animierte diese Gegebenheit Satoshi Nakamoto 2008 dazu, Bitcoin herauszubringen. Doch die selben Ursachen von Bankenkrisen wiederholten sich über die vergangenen Monate innerhalb des Krypto Sektors. Ein fragwürdiger Umgang mit Kundengeldern, gekoppelt mit hochriskanten fremdfinanzierten Investments brachten in Stresssituationen selbst die grössten Krypto Institutionen zu Fall. Die Branche braucht hinsichtlich Kryptounternehmen, die Anlagen von Kunden verwahren eine klare regulatorische Vorgabe. Insbesondere müssen der Umgang und die Transparenz rund um verwaltete Kundenvermögen konsequent festgelegt werden, um Fälle wie FTX und Co. in der Zukunft zu vermeiden.