Gedanken zum neuen digitalen Zeitalter von Claudio Grass. Auf die dezentrale (R)Evolution des Internets folgt der zweite Teil: Hat Bitcoin das Zeug zum digitalen Gold?
Es hat mich einige Zeit gekostet, Bitcoin und das damit verbundene dezentrale Netzwerk in seinem ganzen Potential zu erfassen. Erst als ich das Zusammenspiel von Hash-Funktionen, digitalen Signaturen, Peer-to-Peer-Strukturen und Open-Source-Entwicklung in seiner Gesamtheit überblickte, realisierte ich, dass Bitcoin grundsätzlich das Zeug zum «digitalen Cash» hat. Wird es doch bereits wie z.B. staatliche Geldscheine oder Gold, ebenfalls als privates und wenn nicht «anonymes» so doch, präziser ausgedrückt, «pseudonymes» Tauschmittel akzeptiert. Gleichzeitig verfügt es über die notwendigen geschichtlichen Charakteristika, die Geld auszeichnen, sofern es den Markteilnehmern selbst überlassen ist, was sie als Geld frei wählen wollen.
Geld und Gold
Aus der «Geschichte des Geldes» lernen wir, dass jegliche Form von Geld selten sein muss. Zudem muss es einfach zu transportieren sowie teilbar und fungibel sein. In der vordigitalen Welt konnten somit nur reale Güter zu Geld werden, welche bereits davor wertgeschätzt wurden. Bestes Beispiel hierfür ist sicherlich Gold – die härteste Währung aufgrund der Seltenheit und der Schwierigkeit der Produktion in der physischen Welt. Viele bezeichnen Gold auch als Wertspeicher, da es quasi die Konservierung von Energie und menschlicher Arbeitszeit verkörpert, die dazu aufgewendet werden musste, das Gold mühsam aus der Erde zu holen.
«Bitcoin ist die Verkörperung von Nassim Talebs Idee der Antifragilität, der Fähigkeit, aus Widrigkeiten und Störungen einen Nutzen zu ziehen.» - Saifedean Ammous
Wenn man sich nun Bitcoin näher betrachtet und die digitale Welt als Katalysator für freie Ideen anerkennt, so erfüllt Bitcoin grundsätzlich dieselben Eigenschaften. Bitcoin wird ebenfalls «geschürft», ist auf 21 Million Einheiten begrenzt, digital und peer-to-peer transportierbar und bis zu 100 Millionen Satoshis pro Bitcoin teilbar. Bitcoin stellt einen mathematischen Code dar, der über Schönheit verfügt und bis heute nicht gehackt werden konnte. Mit jedem Tag gewinnt das Netzwerk an Stärke und Sicherheit, da gleichzeitig auch die «Hashing-Power» und die dazu aufzubringende Energie ansteigt und die Kosten für Attacken massiv verteuert. Damit Bitcoin zerstört werden kann, müsste ein Angreifer bereits heute grosse Summen ausgeben, ohne dass er jemals etwas davon zurückbekommen würde.
Gewährleistete «Pseudonymität» gekoppelt mit Wert
Ein digitaler Wert, der in einem Netzwerk operiert, das «Pseudonymität» gewährleistet und somit die verfassungsrechtliche Privatsphäre schützt. Es erinnert an das schweizerische Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 321ter StGB), welches eingeführt wurde um den einzelnen Menschen vor einem totalitären Staat zu schützen. Im Weiteren haben im vergangenen Jahrzehnt Menschen aus freien Stücken begonnen, Arbeitszeit und Energie aufzuwenden, um das White Paper von Satoshi in die Realität umzusetzen und somit wie bei der Goldgewinnung Energie und Arbeitszeit gespeichert. Sie haben anfänglich damit nur getauscht und gespielt, bis es zum ersten Mal als Zahlungsmittel gegen eine Pizza im Wert von 10'000 Bitcoins umgetauscht wurde und somit zu einem monetären Gut wurde.
Wert ist letztendlich stets subjektiv – er liegt einzig und alleine im Auge des Betrachters.
Seitdem hat sich Bitcoin und das damit verbundene Netzwerk ausgezeichnet entwickelt, da selbst die Incentivierung innerhalb des Netzwerks so durchdacht und in einer Weise programmiert wurde, dass mittels «Proof of Work» nur derjenige belohnt wird, der als Erstes geprüft hat, ob die Echtheit der Transaktion gegeben ist. Ein „Miner“, der versuchen würde, beim diesem «Proof of Work» zu betrügen, käme nie zum Zug, da bei der Überprüfung durch die unzähligen Nodes dies auffliegen würde und der Betrüger so oder so leer ausgeht und damit keinen wirtschaftlichen Nutzen daraus ziehen kann.
Vorteile und Chancen des Internets überwiegen die Nachteile und Risiken bei Weitem
Aber zurück zum Hauptgrund, warum ich an diesem Thema drangeblieben bin mit dem Willen, in die Tiefe zu gehen. Hauptsächlich lag es daran, dass ich von je die Vorteile und Chancen des Internets stärker gewichtet habe als die Nachteile und Risiken. Sicherlich war das Internet früher als «Arpanet» bekannt, ein Projekt der US-Regierung; und HTTP wurde bei CERN, einer von Staaten getragenen Organisation, entwickelt. Und doch kann man mit Zuversicht sagen, dass niemand das Internet hat kommen sehen. Tim Berners-Lee (quasi der Erfinder des WWW) selbst, und er ist der Erste, der es zugibt, hatte keine Vorstellung, dass das „World Wide Web“ zu dem werden könnte, was es heute ist.
Damit möchte ich zu verstehen geben, dass das moderne Internet nie geplant war. Was wir als Internet bezeichnen, ist eine heuristische Summe, es ist eine chaotische Verschmelzung von bilateralen Verbindungen oder Peering-Abkommen. Es ist ein Produkt freiwilliger Interaktion. Spezialisierte Protokolle finden heuristisch den kürzesten Weg zwischen zwei beliebigen Punkten in einem wirklichen dezentralen Durcheinander.
Das Internet ist das Produkt individuellen menschlichen Handelns. Es ist eine Gesamtsumme freiwilliger Interaktion. Es ist das Produkt dezentraler Intelligenz und gleichzeitig sein Katalysator. Und von grösster Bedeutung ist, dass Open-Source-Software der Baustein des Internets ist. Es gibt somit keinen zentralen «Internet-Kill-Switch». Ebenfalls, und Satoshi Nakamoto ist der beste Beweis dafür, ist es möglich, seine Identität zu schützen, wenn man bewusst mit dem Internet umzugehen weiss.
Wir müssen den König nicht enthaupten, wenn wir ihn einfach ignorieren können!
Sie sind besorgt über finanzielle Repressionen? Seien Sie versichert, es gibt immer einen Preis für physisches Gold, den ultimativen Vermögensspeicher. Kryptowährungen stellen ein überlegenes Tauschmittel dar. Das sind die beiden Funktionen des Geldes. Wie sollen Kapitalverkehrskontrollen umgesetzt werden in einer Welt, in der Bitcoin für die Dauer der Reise sicher in der Cloud gespeichert werden kann?
Wir müssen den König nicht enthaupten, wenn wir ihn einfach ignorieren können. Die wahre Revolution dieses Zeitalters wird keine kollektive Bewegung sein, sondern eine Summe von individuellen Revolutionen. Leute, die sich abmelden. Wenn es plötzlich keinen Grund mehr gibt, auf den Tyrannen zu hören, wenn seine Verlautbarungen plötzlich nicht mehr durchsetzbar sind, warum noch weiter nach diesen leben? Unabhängig von der Gewalt, die er einzusetzen vermag, verliert der Tyrann doch plötzlich jede Konkurrenzfähigkeit und damit auch an Relevanz.
Sollten Sie sich fragen, wie die Voltaires dieses Zeitalters aussehen, heissen sie Cody Wilson, Aaron Swartz oder Richard Stallman.
Die neue Philosophie der Freiheit, ein perfekter Synkretismus, eine Vermischung zwischen dem klassischen Liberalismus und der Hackerkultur, welche wir heute unter dem Begriff Krypto-Anarchismus kennen. Seine Intuition kann wie folgt zusammengefasst werden:
«Absolute Transparenz für Institutionen, volle Privatsphäre für Einzelpersonen».
Diese Philosophie gewinnt an Bedeutung. Es werden Instrumente entwickelt, die es den Menschen ermöglichen, sich zurückzuziehen und unnötige Intermediäre und Tyrannen zu ignorieren. Erlaubnisfreie Transaktionen ohne den Einbezug oder Vermittlung durch eine dritte Partei gehört die Zukunft. Ein neues Bewusstsein für individuelle Freiheit wächst, gefesselt von der Hackerkultur. Leute, die sich Sorgen machen, dass Facebook oder Google ihre Position missbrauchen, sollten sich an AOL und MySpace erinnern und erkennen, dass die Regulierung der Feind ist, besonders wenn sie vorgibt, uns zu schützen. Und wenn eine Verordnung erlassen wird, können Sie sich auf mutige und anonyme Entwickler verlassen, die Mittel vorschlagen, um sie zu ignorieren und sie somit null und nichtig zu machen.
Die Menschheit gewinnt. Das Schönste ist, dass wir nicht genau wissen, wie dieser freie Markt der Ideen die Zivilisation verbessern wird, so wie wir die genauen Auswirkungen der Druckmaschine (oder des Schreibens davor) nicht vorhersagen konnten. Pessimisten haben also einen dialektischen Vorteil, weil sie als zentrale Planer argumentieren, und sie können eine geplante Zukunft beschreiben, wie falsch sie auch immer sein mag.
Wir, die Freunde der Freiheit, sind Philanthropen. Wir lieben es, dass echte Fortschritte nicht geplant werden können. Auch wenn wir nicht wissen können, welchen Weg freie Individuen nehmen werden, und daher nicht vorhersagen können, wie und wann Schönheit entstehen wird, vertrauen wir auf der Überlegenheit ungeplanter Initiativen und verteilter Intelligenz. Wir wissen, dass es am Ende mehr Pracht erzeugt.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese «kollaborative» Schöpfung im Internet sehr leistungsorientiert ist, auf individuellen freiwilligen Beiträgen beruht und keinen Zwang oder Gewalt ausübt. Es ist daher ein perfektes Labor, um die unbestreitbare Überlegenheit der Freiheit einmal mehr aufzuzeigen.
Deshalb, wer die Freiheit liebt, der sollte begeistert sein, dass es zu grossartigen Innovationen wie dem Internet, Bitcoin und Blockchain gekommen ist.
Das dezentrale «Internet of Information» bedarf eines dezentralen «Internet of Value».
Das Bitcoin Experiment ist mit 11 Jahren noch jung und somit am Anfang. Dennoch konnte es bisher nie unterbrochen werden und mit jedem Tag und jedem Nutzer wird es robuster, ganz im Gegensatz zum aktuellen Zentralbankensystem, welches sich unausweichlich und ersichtlich im Niedergang befindet.
Deshalb möchte ich schliessen mit Voltaire, der einst sagte, es gibt nichts stärkeres als eine Idee, deren Zeit gekommen ist, im Wissen darum, dass jegliches «Zuviel» an zentraler Gewalt mit der Zeit durch dezentrale Technologien ausgebootet wird. Die besseren Ideen gewinnen so sicher, wie dezentrale Strukturen zentralen gegenüber stets überlegen sind.
Siehe erster Teil:
https://cvj.ch/aktuell/koepfe/das-internet-die-dezentrale-revolution/