Wir berichteten kürzlich über die erste Anhörung im deutschen Bundestag zum Thema "Digitale Währungen". Dazu haben wir geladenen Sachverständigen Fragen zum Thema gestellt. In diesem Beitrag äussert sich der Sachverständige Ralph Bärligea.
Herr Bärligea, wie schätzen Sie die aktuelle Lage im Zusammenhang mit Krypto-Währungen im generellen ein. Ist das ein Thema welches die Finanzwelt revolutioniert, oder doch eher heisse Luft?
Wenn Geld nur heiße Luft ist, dann sind Kryptowährungen heißer als heiß. Denn die Blockchain-Technologie, welche Kryptowährungen zu Grunde liegt, stellt ein Novum in der Geschichte der Informationstechnologie dar, welches insbesondere im Geldwesen offene Türen einrennt. Die Blockchain-Technologie kann durch ihre drei Eigenschaften Verkettung, Verteilung und Verschlüsselung von Daten sowohl Manipulationssicherheit als auch Übertragbarkeit von Daten und das weltweit und in Echtzeit bieten. Bisher war entweder nur das eine oder das andere möglich.
Schon die Römer konnten Nachrichten über Lichtsignale entlang der Grenztürme des Limes mit einer Geschwindigkeit von etwa 270 Kilometern pro Tag übertragen. Das ging verhältnismäßig schnell, war aber nicht so sicher. Wurde ein Grenzturm feindlich eingenommen, konnten leicht Fehlsignale übertragen werden. Heute würden wir „Fake News“ dazu sagen. Der berittene Bote mit kaiserlich versiegeltem Brief brauchte länger, die Information war aber weniger manipulationsanfällig. Noch sicherer waren in Stein gehauene Texte direkt im Zentrum von Rom. Wirklich übertragbar und liquide waren diese Informationen dann aber nicht. Ein klassischer Trade-off zwischen Manipulationssicherheit und Übertragbarkeit von Informationen lag vor.
Die Blockchain Technologie braucht keine zentrale Instanz.
Heute übertragen wir digitale Daten ebenfalls über Lichtsignale, nämlich über Glasfaserkabel und mit Lichtgeschwindigkeit in Echtzeit. Doch auch diese Daten waren bis vor dem Einsatz der Blockchain mit dem Bitcoin als ihrem ersten Anwendungsfall im Jahr 2009 noch hoch anfällig für Manipulation, Kopien, Abwandlungen und Entstellungen aller Art. Das ist jetzt mit der Blockchain-Technologie anders geworden. Zudem braucht man für den Betrieb dieser Technologie keine zentrale Instanz, sondern kann sie gemeinschaftlich, sozusagen als Kollektiv oder auch Konsortium betreiben. Wie beim Gold kann die Geldmenge von Kryptowährungen nicht beliebig manipuliert werden. Und wie beim Besitz von physischem Gold gibt es anders als beim Buchgeld kein Bonitäts- bzw. Insolvenzrisiko gegenüber einer Bank als zentraler Instanz. Doch anders als beim Gold können Kryptowährungen genauso leicht oder sogar noch leichter gelagert und übertragen werden wie das heutige Buchgeld der Banken. Das Buchgeld nennen wir umgangssprachlich auch unser Kontoguthaben, andere Ausdrücke dafür sind Sichteinlagen oder Giralgeld.
Weil Kryptowährungen – egal ob staatlich oder privat produziert – die Vorteile von Gold und Buchgeld vereinen können, ohne deren jeweilige Nachteile aufzuweisen, stellen sie eine echte Revolution im Geldwesen dar. Sie sind ein echter Game-Changer.
Der Bundesverband Deutscher Banken bekennt sich in seiner jüngsten Stellungnahme für den Ausschuss Digitale Agenda im Deutschen Bundestag beispielsweise wie folgt: „Digitales Geld auf Kryptobasis ist die erste echte Innovation im Geldwesen seit der Erfindung des Papiergeldes.“
Bitcoin ist bekanntlich die am weitesten verbreitete Krypto-Währung. Wie ist Ihre Meinung zu Bitcoin?
Bitcoin macht laut Coinmarketcap.com rund zwei Drittel der Marktkapitalisierung aller Kryptowährungen aus. Das Proof-of-Work-Verfahren mit verhältnismäßig hohem Stromverbrauch beim Bitcoin mag überkommen und brachial sein. Mittlerweile gibt es günstigere Verfahren, wie etwa Proof-of-Stake oder das Tangle-Verfahren von IOTA, die ähnliche oder gar höhere Sicherheit bei geringeren Stromkosten bieten können. Aber auch für den Bitcoin gibt es mittlerweile durch das Lightning-Netzwerk günstige Übertragungsmöglichkeiten. Ich führe hier die verschiedenen Verfahren bewusst nicht weiter aus, denn es wäre eine Anmaßung von Wissen, sich bei mehreren tausend Kryptowährungen mit jeweils unterschiedler Funktionsweise ausmalen zu wollen, welche die beste sei. Letztendlich denke ich, dass sich das beste Geld im Marktprozess herauskristallisieren wird.
Wer vom Prinzip der Kryptowährungen an sich überzeugt ist und darum unbedingt welche besitzen möchte, sollte höchstens den Teil seines Vermögens für den er oder sie sich ein Totalverlustrisiko leisten kann investieren und dann ähnlich wie beim einem Exchange Traded Fund (ETF) gestreut nach Marktkapitalisierung. Konkret umgesetzt geht das relativ leicht. Wer die drei größten Kryptowährungen Bitcoin, Ethereum und Ripple besitzt, deckt bereits 80 Prozent der Marktkapitalisierung des Kryptmarktes ab und fährt nach der 80-20-Faustregelt von Pareto portfoliotechnisch betrachtet bereits ganz gut. Wer sein Vermögen hier anders als der Markt gewichtet, traut sich zu, es besser zu wissen als der Durchschnitt aller anderen. Ich selbst traue mir das im Bereich der Kryptowährungen auf Grund ihrer Vielfalt, ihrer noch immer sehr hohen Volatilität und ihrer technischen und ökonomischen Komplexität nicht zu. Jedenfalls sollte niemand alles auf eine Karte und damit auch nicht alles auf den Bitcoin setzen.
Als Zahlungsmittel in der Praxis wird der Bitcoin immer noch nicht genutzt. Gemessen am globalen Finanzvermögen laut Allianz Global Wealth Report macht er zusammen mit allen anderen Kryptowährungen weniger als ein Tausendstel des weltweiten Finanzvermögens aus. Geld ist ein Netzwerkgut, das heißt, sein Wert hängt davon ab, wie viele andere Menschen es sonst noch verwenden, insbesondere davon wie viele Akzeptanzstellen, also Händler es gibt, bei denen man mit diesem Geld bezahlen kann.
Als rein digitales Wertaufbewahrungsmittel und Transaktionsmittel und Recheneinheit in der Welt reiner Krypto-Börsen und -Marktplätze hat sich Bitcoin bereits bewährt. Hier ist er ein Riese. In der Welt von Alltagszahlungen vom Supermarkt bis hin zum Immobilienkauf ist er ein Zwerg.
Ob er es jemals zum allgemein akzeptierten Zahlungsmittel schaffen wird, ist reine Spekulation, aber auch nicht ausgeschlossen. Obwohl der Bitcoin technisch nicht unbedingt die ausgereifteste Lösung unter den Kryptowährungen ist, könnte er über Hilfsmittel wie das Lightning-Netzwerk oder über Forks wie Bitcoin Cash weiterhin der dominanteste Player im Kryptomarkt bleiben, einfach weil er schon so verbreitet ist und es beim Geld auf Netzwerkeffekte und eine große Nutzerbasis ankommt. Das könnte ähnlich laufen wie beim sogenannten Video-Krieg in den 70er und 80er Jahren, in dem sich mit VHS nicht unbedingt das qualitativ beste und günstigste Format, sondern einfach ein vom Beginn an weit verbreitetes Format durchgesetzt hat. Wenn nun aber große Player wie Facebooks Libra, die über die 4,1 Milliarden Facebook-Nutzer auf einem Schlag ein Drittel der Weltbevölkerung erreichen könnte, oder der in Politkreisen diskutierte E-Euro kommen, könnten diese durch eine größere Nutzerbasis sowie bessere regulatorische Einbettung schnell mehr Akzeptanz erfahren und damit „wilden“ Kryptowährungen wie dem Bitcoin das Wasser abgraben, sodass diese weiterhin ein Nischendasein führen würden, ggf. bis hin zum totalen Wertverlust. Es bleibt spannend.
Neben Bitcoin gibt es ja bekanntlich die Kategorie «stable coins» in welcher auch Libra mitspielen will. Wie würden Sie die aktuelle und zukünftige Situation hinsichtlich Regulierung dieser neuen «kommerziellen» Krypto-Währungen beurteilen. Werden wir bald alle mit Stablecoins statt Kreditkarte bezahlen?
Stablecoins, die auf bestehende staatliche Währungen lauten, unterscheiden sich eigentlich betriebswirtschaftlich nicht von Giralgeld oder einem Geldmarktfonds. Wenn der Stablecoin eine Forderung auf zum Beispiel Euro darstellt, aber überhaupt nicht komplett durch Euro gedeckt ist, sondern zum Beispiel nur zu mindestens einem Prozent wie beim aktuell geltenden durch die Europäische Zentralbank vorgegeben Mindestreservesatz, dann ist das wie Giralgeld. Wenn diese Stablecoins zu hundert Prozent durch staatliche Währungen gedeckt sind, wäre das wie ein Geldmarktfonds, etwa ein Exchange Traded Funds (ETF), der so liquide ist, dass er nicht nur an Börsen täglich gehandelt, sondern eben auch im Alltag zur Zahlung eingesetzt wird. Aktuell sieht es so aus, als wäre Libra so konzipiert, auch wenn das Whitepaper der Libra das nicht mit abschließender Sicherheit erkennen lässt und die Öffentlichkeit und die Politik noch viele offene Fragen dazu hat. Ob Giralgeld oder Geldmarktfonds, für beides gibt es bereits geltende Regulierungen.
Nur weil das Medium Blockchain jetzt ein neues ist, muss das Rad der Regulierung also nicht unbedingt komplett neu erfunden, jedoch gegebenenfalls an der ein oder anderen Stelle schärfend adjustiert werden werden.
Daneben sind Stablecoins denkbar, die per Smart-Contract durch andere Kryptowährungen gedeckt sind oder bei denen ein Algorithmus versucht, durch Verknappung und Erweiterung des Geldangebotes den Marktpreis gegenüber irgendeinem Referenzwert ähnlich der Politik einer Zentralbank stabil zu halten. Solche Varianten sind aus meiner Sicht, insbesondere wenn sie autonom arbeiten, regulatorisch eher wie reine Kryptowährungen analog zu Bitcoin und Ethereum zu verstehen und auch entsprechend zu behandeln.
Dass wir Euro oder Dollar als Giralgeld oder auf Fondsbasis als Stablecoin zur Zahlung auf einer Blockchain-Lösung bekommen werden, ist sehr wahrscheinlich.
Es gibt keinen logischen Grund, warum sich staatliche Währungen die Vorteile der Blockchain-Technologie von besserer Transferierbarkeit und höherer Manipulationssicherheit inklusive der Möglichkeit von automatisch regeltreu programmierbarem Geld (Compliance by Design) entgehen lassen und das Feld ohne Weiteres Wettbewerbern überlassen sollten. Ingesamt ist das eine sehr positive Entwicklung. Denn wenn sich durch den Wettbewerb angefacht jetzt alle anstrengen, besseres Geld und bessere Zahlmethoden herauszubringen, werden Bürgerinnen und Bürger als auch Unternehmer und Konsumenten in ihrer Rolle als Geldverwender von mehr Wertstabilität und günstigeren Transaktionskosten sowie allen möglichen interessanten Zusatzfunktionen des Geldes profitieren. Die gleiche Entwicklung wie von analogen Drehscheibentelefonen hin zu Smartphones ist heute auch für Geld und Zahlsysteme möglich.
Der zweite Teil unseres Interviews folgt in Kürze.
Ausserdem ist er Senior Business Consultant im Bereich Digital & Strategy bei der Management- und Technologieberatung BearingPoint, wo er vornehmlich Banken und den öffentlichen Sektor zu Finanzfragen, Digitalisierung und Blockchain berät. Er ist studierter Ökonom mit Vertiefung in Wirtschaftsinformatik, Hochschuldozent und regelmäßiger Fachautor zu Wirtschaft, Blockchain und Kryptowährungen.