In der zweiten Jahrshälfte 2017 erlebten Kryptowährungen einen regelrechten Hype. Innert weniger Monaten schossen die Preise durch die Decke. Die Euphorie war riesig – rückblickend gar wahnwitzig. 2018 brachte die Ernüchterung: Die Marktkapitalisierung aller Kryptowährungen reduzierte sich um über die Hälfte. Diese Konsolidierung schien die Krypto-Welt wieder auf den Boden der Realität zurückzuholen. Viele glaubten, auf einem solideren Fundament gedeihe mehr Wirklichkeitssinn und ein tieferes Verständnis für Krypto.
Doch auch nach fünf Monaten im neuen Jahr scheint sich wenig geändert zu haben. Noch immer investieren viele blind in irgendwelche Initial Coin Offerings (ICOs), vertrauen zentralisierten Börsen leichtfertig ihre Coins und Token an und laufen unfundierten Gerüchten und Pump-Signalen nach.
Ob dieser augenscheinlichen Lernunfähigkeit fühlen sich auch die Kritiker bestätigt: Natürlich handele es sich bei diesem Krypto-Phänomen um ein Schneeballsystem, Kriminellenwerkzeug und Spekulationshype, weshalb man sich kaum tiefgehend damit zu beschäftigen habe. Diese Reaktion ist zwar verständlich – letztlich aber wenig förderlich. Sie trägt dazu bei, dass die Krypto-Welt noch immer kaum verstanden wird.
Eine gewöhnliche Digitalwährung?
Vielfach wird Bitcoin – und andere Kryptowährungen – bloss als eine neue Digitalwährung beschrieben. Letztlich handelt es sich jedoch nicht nur um eine gewöhnliche Digitalwährung, die wie Apple Pay oder Twint das virtuelle Bezahlen ermöglicht. Hinter Bitcoin steckt mehr: Die Lösung eines uralten technologisch-mathematischen Problems, was neue Vertrauensstrukturen auf der Grundlage von Kryptografie und Mathematik ermöglicht. Bitcoin macht es erstmals in der Geschichte der Menschheit möglich, das Vertrauensproblem menschlicher Beziehungen zu entschärfen.
Das Problem, das Bitcoin zu lösen imstande war, ist die «Double-Spend-Problematik». Wie kann sichergestellt werden, dass Bitcoin-Einheiten nicht ausgeben werden, ohne dass es eine zentrale Datenbank gibt, in der über die gesamte Transaktionshistorie Buch geführt wird? Wie also funktioniert das Bitcoin-Zahlungssystem ohne zentrale Buchhalterinstanz? Hierfür hat Bitcoin das Problem der byzantischen Generäle auf technologischem Weg gelöst. Die entscheidende Frage, welche das Problem der byzantischen Generäle aufwirft: Wie stellt man sicher, dass mehrere Parteien (Generäle), die räumlich voneinander getrennt sind, zu einem vollständigen Konsens finden, bevor sie eine gemeinsame Aktion (Angriff) durchführen? Oder anders ausgedrückt: Wie gelangen einzelne, voneinander getrennte Individuen zu einem Konsens? Das folgende Beispiel veranschaulicht das Problem.
Man stelle sich vor, man sei der General der byzantinischen Armee, die kurz vor einem Angriff auf eine belagerte Stadt steht. Mit mehreren Truppenverbänden wurde die gegnerische Stadt umzingelt, jede Truppeneinheit ist jedoch mehrere Kilometer von der jeweils nächsten entfernt und wird durch einen anderen General angeführt. Ein koordinierter Angriff von allen Seiten gleichzeitig würde zum Sieg führen – mit einem unkoordinierten Angriff geht die Schlacht verloren. Vor der Belagerung haben sich die Generäle darauf geeinigt, im Morgengrauen anzugreifen. Doch wie kann sich ein jeder General sicher sein, dass die anderen kooperieren und zur gleichen Zeit angreifen? Smartphones besitzen sie keine und Zeichen wie Fackeln oder brennende Pfeile werden vom Feind erkannt. Natürlich bestünde die Möglichkeit, Boten auszusenden, doch kann man sich als General nie sicher sein, ob die überbrachte Nachricht unverfälscht ist.
Nicht-zentralisierte Datenbank
Bitcoins Lösung muss man sich wie folgt vorstellen: Die Truppenverbände sind die Computer eines Netzwerkes, die Generäle stellen Kopien eines Computerprogrammes dar, über das eine Datenbank läuft. In dieser Datenbank werden mittels kryptografischer Verschlüsselung Transaktionen und deren Erstellungsdatum festgehalten, so dass eine exakte Transaktionshistorie entsteht. Diese ist auf allen am Netzwerk teilhabenden Computern identisch, jeder Computer verfügt über eine Kopie derselben Datenbank. Sobald eine Veränderung ins Netzwerk eingespeist wird und diese der hinter dem Bitcoin-Code stehenden Mathematik nicht widerspricht, werden die Kopien der Datenbank auf allen Computern zeitgleich angepasst. Auf diese Weise ist das Gesamtnetzwerk immer in Übereinstimmung – es herrscht zu jeder Zeit vollständiger Konsens.
Bitcoin schuf somit die erste, nicht-zentrale und immer über einen Konsens verfügende Datenbank, welche die Welt je gesehen hat. Diese wird heute als Blockchain bezeichnet. Über das globale Netzwerk von Bitcoin können Menschen Werte austauschen, ohne sich jemals gesehen zu haben. Das heisst: Die unterschiedlichsten Parteien, die in den unterschiedlichsten Gegenden zuhause sind, können einen Konsens finden, ohne dass es einen Intermediär für die Herstellung von Vertrauen benötigt. Die Teilnehmer des Bitcoin-Netzwerkes können sich sicher sein, dass es innerhalb des Netzwerkes zu keinen «Double-Spend-Attacken» kommt, da diese durch das Netzwerk erkannt und folglich verworfen werden. Bitcoin ist also nicht bloss eine weitere Digitalwährung, sondern die erste weltweit verteilte nicht-zentrale Datenbank, auf welcher Werte aller Art verbucht und somit getauscht werden können. Darin besteht auch dessen Innovation und Daseinsberechtigung.