Die USA stellen die Weltleitwährung – und profitieren stark davon. Während die Amerikaner alles daransetzen, diesen Zustand aufrechtzuerhalten, arbeiten zahlreiche andere Staaten eifrig an der De-Dollarisierung.
Glaubt man den Historikern, wurden die USA in den 1870er-Jahren zur grössten Volkswirtschaft der Welt. Was einst eine von Puritanern, Abtrünnigen und Spinnern besiedelte britische Kolonie war, hatte sich etwas mehr als ein Jahrhundert nach ihrer Gründung zum global handelsstärksten Land entwickelt. Ohne eine eigenständige Zentralbank allerdings vermochte der Dollar international nicht mithalten. 1913 wurde das Federal-Reserve-System gegründet, was der Verwendung des Dollars im internationalen Handel und bei Finanztransaktionen Aufwind verschaffte. Ein «Glücksfall» für den Greenback war der Erste Weltkrieg: Andere Länder lösten zur Finanzierung der Kriegsausgaben ihre Währungen vorübergehend vom Gold. Dies gab dem Status des Dollars als Reservewährung zusätzlichen Schub.
Der Goldstandard
Die Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg war insbesondere durch das Bretton-Woods-Abkommen geprägt. Im Rahmen dieses Systems wurden die wichtigsten Währungen der Welt an den Dollar gekoppelt, der seinerseits an Gold gebunden war. Dies zementierte die Stellung des US-Dollars als globale Reservewährung. Die Zentralbanken der einflussreichen Länder setzten auf die amerikanischen Devisen, deren Wert sie durch die Golddeckung gesichert sahen.
In den 1960er-Jahren lancierte die US-Regierung dann das grossangelegte sozialpolitische Reformprogramm namens «Great Society». Gleichzeitig verausgabten sich die USA während dieser Zeit im Vietnamkrieg. Zur Finanzierung von «Welfare & Warfare» setzte man auch auf die Notenpresse, was den realen Aussenwert des Dollars schwächte. Zunehmend anfallende Handelsbilanzdefizite – die Importe der USA begannen die Exporte zu übersteigen – führten bei den Ländern Westeuropas zur Anhäufung grosser US-Devisenreserven. Unter der Ägide des französischen Präsidenten Charles de Gaulle bestanden die Franzosen schliesslich darauf, die US-Währungsreserven gegen Gold einzutauschen.
An diesem Punkt kappte der damalige US-Präsident Richard Nixon die Bindung des Dollars an Gold. Mit der Schliessung des Goldfensters war nun auch der Dollar zur Papierwährung geworden. Die Bedenken, wonach das lediglich noch grün bedruckte Papier das Vertrauen und damit seinen Wert verlieren würde, stellten sich als unbegründet heraus. Im Gegenteil: Die durch die Dollarloslösung vom Gold verursachte Unsicherheit auf den internationalen Märkten schuf paradoxerweise eine Nachfrage nach in Dollar denominierten Vermögenswerten, die mangels Alternativen als sicherste Anlageoption wahrgenommen wurden.
Reales für Nominales
Diese glückliche Wendung nutzten die USA, indem sie den US-Dollar als Leit- und Reservewährung etablierten: 1973 wurde der Greenback als Abwicklungswährung für den internationalen Ölhandel festgelegt – später folgten andere wichtige Industrierohstoffe. Das Öl spielt insofern eine entscheidende Rolle, als alle Industrie- und Entwicklungsländer auf diesen Rohstoff angewiesen sind und so für eine kontinuierliche Nachfrage nach Dollar sorgen. Die Dollar-Vorherrschaft war geboren.
In der Nachzeichnung liest sich die Entstehung der Dollar-Hegemonie wie ein von langer Hand geplantes System. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass viele eine Verschwörung wittern. Doch nur weil sich in der Retrospektive ein roter Faden ausmachen lässt, muss dieser noch lange nicht bewusst gezogen worden sein. Vielfach wird schlicht die Wirkungskraft von Interessen und Anreizen unterschätzt, die unterschiedliche Akteure – darunter auch Nichtwissende – systematische Entscheidungen zu ihren Gunsten treffen lassen. Für die Entstehung einer systemisch anmutenden Dollar-Überlegenheit braucht es bloss zum richtigen Zeitpunkt kaufende und verkaufende Investoren. Sie müssen nicht Ausführende eines Zentralplans, sondern nur spontane Marktteilnehmer sein.
Interessen sind vor allem deshalb im Spiel, weil die Amerikaner von diesem Dollarsystem profitieren, wie die Kennzahlen zu den aktuellen Aktienmärkten zeigen: Der US-Aktienmarkt macht 40 Prozent der globalen Börsenkapitalisierung aus. Noch vor zehn Jahren lag dieser Wert bei 32 Prozent. In der Realwirtschaft beträgt der US-Anteil jedoch nur etwa ein Viertel.
Wie genau profitieren die USA? Im Prinzip exportieren sie ihre eigene Währung anstelle von realen Gütern. Während andere Länder Güter und Dienstleistungen tauschen und dafür den US-Dollar verwenden, tauschen die Vereinigten Staaten ihre Dollars gegen Waren und kriegen so Reales für Nominales. Die Nachfrage nach Dollar und auf US-Dollar lautende Finanzanlagen, insbesondere US-Staatspapiere, sorgt zudem dafür, dass die US-Zinsen niedrig gehalten werden, wovon Unternehmen und Staat profitieren – ein «privilège exorbitant», wie es der französische Finanzminister Giscard d’Estaing seinerzeit nannte.
Neutrale Weltwährung
Es ist dieses Privileg, das andere Länder dazu anspornt, die De-Dollarisierung voranzutreiben. Schrittweise werden hierzu Pfeiler eingeschlagen. So haben einige Länder den Handel von in der chinesischen Währung Renminbi denominierten Öl-Terminkontrakten aufgenommen mit dem Ziel, die Leitwährungsfunktion des US-Dollars zu schwächen. Gleichzeitig baut China an einer «neuen Seidenstrasse» abseits der USA und investiert dafür in Asien, Europa und Afrika. Neben China hat vor allem Russland verstärkt in Gold investiert, auch deshalb, weil beide Nationen ihren Anteil an US-Staatspapieren schleichend reduzieren. Zudem soll die EU an einem europäischen Zahlungssystem arbeiten, um so eine Alternative zum von den USA dominierten SWIFT-System bieten zu können.
In der Summe stellen all diese Unterfangen eine echte Gefahr für die Vormachtstellung des US-Dollars dar. Doch welche Währung könnte den Dollar überhaupt ersetzen? Der Renminbi kaum. Abgesehen davon, dass Chinas Finanz- und Kreditmärkte viel zu klein und zu wenig liquide sind, haftet den chinesischen Institutionen im Westen kein allzu guter Ruf an, eine funktionierende Vertrauensbasis für Investoren wäre nicht gegeben. Zudem würde ein Wechsel von Dollar auf Renminbi nichts an der grundlegenden Problematik ändern.
Vom Bitcoin zum Worldcoin
Einige Ökonomen argumentieren deshalb, dass zu einer globalen Weltwährung zurückgekehrt werden sollte, die nicht von einem einzelnen Land ausgegeben wird – wie zu Zeiten des internationalen Goldstandards. Dadurch würden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, so die Experten: Der Welt entstünden weder Transaktionskosten im internationalen Handel, noch käme einer einzigen Partei der Währungsausgabevorteil zu.
Der theoretisch gangbarste Weg wäre eine internationale Abwicklungsunion, wie sie der englische Ökonom John Maynard Keynes formulierte. Eine global akzeptierte Weltwährung wird über eine supranationale Einheit ausgeben, wodurch sichergestellt ist, dass der Einfluss gleichmässig auf die Mitgliedstaaten verteilt ist. Nur war die Dezentralisierung der Machtverhältnisse innerhalb eines solchen globalen Konsortiums bislang technologisch kaum umsetzbar.
Während die Implementierung eines solchen Konsortiums nach wie vor zahlreiche politische Hürden zu überwinden hätte, dürfte die vergleichsweise junge Blockchain die technologische Umsetzung vereinfachen. Die Schaffung einer Weltwährung in Form eines digitalen Tokens – des Worldcoins beispielsweise – wäre technisch durchaus machbar. Der Verwaltungsrat dieser internationalen Abwicklungsunion wäre verantwortlich für Verwaltung des Algorithmus und damit die Struktur des Worldcoin. Die Zentralbanken der Mitgliedstaaten wären die Miner. Zusammen würden sie die Worldcoins schöpfen und so das Blockchain-Netzwerk aufrechterhalten. Aufgrund der dezentralisierten Natur dieser Technologie wäre keine Zentralbank in der Lage, die neue Weltwährung für eigene Zwecke zu manipulieren.
Dass die Blockchain in diesem Bereich in absehbarer Zeit Anwendung findet, ist unwahrscheinlich. Dafür ist die Technologie noch zu jung, die Interessen an einem Festhalten des Status quo zu stark. Das dürfte sich irgendwann ändern: Wie jede Weltwährung vor ihr wird sich auch der Dollar nicht ewig halten können und irgendwann einem neuen System Platz machen müssen.
Dieser Artikel ist im Original auf punktmagazin.ch erschienen und ist Teil einer Kooperation.