Verspätungen kosten Fluggesellschaften und ihre Passagiere Zeit und Geld. Die Digitalisierung könnte Abhilfe schaffen, erste Pilotprojekte laufen bereits.
Noch vor wenigen Jahrzehnten war Fliegen ein Luxusgut, das sich nur die wenigsten leisten konnten. Das hat sich geändert, und wie: 2017 wurden weltweit erstmals mehr als vier Milliarden Flugpassagiere gezählt. Der wesentliche Grund für das starke Wachstum: Fliegen wurde für immer breitere Bevölkerungsschichten erschwinglich, teils werden einem die Tickets fast schon nachgeworfen. Doch je mehr geflogen wird, desto präsenter ist auch das Thema Flugverspätungen. Gemäss Statistiken sind mehr als 20 Prozent aller Flüge 15 Minuten oder mehr verspätet. Das entspricht etwa 15 000 verspäteten Flugzeugen pro Tag. Und das geht ins Geld.
Gemäss dem US-Branchenverband Airlines for America verursachten Flugverspätungen im Jahr 2017 Folgekosten von über 26 Milliarden Dollar. Nebst direkten Kosten haben vor allem Kunden hohe indirekte Kosten zu tragen: Sie müssen die Flugverspätung geltend machen, was mit mühsamer Papierarbeit verbunden ist. Und genau aus dieser Not entwickelte sich eine neue Industrie. Dienstleister wie AirHelp oder refund.me kaufen Passagieren die Entschädigungsrechte für Verspätungen ab und entledigen sie damit vom leidigen Papierkram.
Mit dem Aufkommen der Blockchain-Technologie ist ein neuer Lösungsansatz zu Tage getreten: sogenannte Smart Contracts respektive intelligente Verträge. Doch allzu smart müssen sie gar nicht sein, es reichen ein paar Zeilen Softwarecode. Im Prinzip folgen sie einer simplen Wenn-Dann-Logik: Wenn eine bestimmte Bedingung erfüllt ist, dann erfolgt automatisch eine vorab definierte Aktion. Dass sich der Programmiercode selbst ausführt, liegt an der Blockchain. Ihr dezentrales Computernetzwerk sorgt dafür, dass Smart Contracts stets gemäss ihren programmierten Parametern ausgeführt werden – weshalb sie eben doch als «smart» bezeichnet werden können.
Flugverspätungen in einer Versicherungslösung an diese Smart Contracts zu koppeln, ist daher keine verwegene Idee. Tritt eine Verspätung ein – die vordefinierte Bedingung – soll der Smart Contract automatisch die Entschädigung auslösen und dem Geschädigten den entsprechenden Betrag gutschreiben. Ob ein Flug verspätet ist oder nicht, wird dem Smart Contract durch externe Daten-Provider mitgeteilt.
Ein solches Smart-Contract-basierendes Versicherungsprodukt hat die AXA Winterthur lanciert, basierend auf der öffentlichen Ethereum-Blockchain. Somit kann der Code – und damit auch der Smart Contract – von jedermann über das Internet eingesehen werden. 19 409 Transaktionen wurden bereits abgewickelt (Stand 07.02.19). Das Produkt mit dem Namen Fizzy berechtigt Fluggäste, die bis fünf Tage vor Abflug eine Versicherung für ihren Flug abschliessen, automatisch zu einer auf ihr Konto ausbezahlten Entschädigungszahlung, sollte der Flug mehr als zwei Stunden verspätet sein.
Aufseiten von AXA spart man vor allem bei einfachen Versicherungsfällen enorm Zeit, da das Personal keine aufwendige Schadensanalyse mehr durchführen muss – diese geschieht komplett automatisiert. Davon dürften auch die Fluggesellschaften profitieren. Für die Kunden bringt das Produkt hauptsächlich eine Komfortsteigerung, da die Rückzahlung nicht aktiv eingefordert werden muss und daher keinerlei Papierkram anfällt. Das Angebot ist derzeit in mehreren europäischen Ländern erhältlich. Nicht so in der Schweiz – die erforderliche Lizenz ist noch ausstehend.
Dieser Artikel ist im Original auf punktmagazin.ch erschienen und ist Teil einer Kooperation.