Nach dem FTX-Kollaps ist das Vertrauen in Krypto-Börsen branchenweit gesunken. Während der Marktführer Binance die Transparenz ihrer Rücklagen zu verbessern versucht, sehen einige Buchhaltungs- und Finanzexperten rote Fahnen gehisst. Die Einschränkungen von "Proof-of-Reserves."
Die weltweit grösste Kryptowährungsbörse versucht, ihre Kunden hinsichtlich der Sicherheit ihrer Bestände zu beruhigen. Binance hat sich kürzlich zu Transparenz verpflichtet, um das Vertrauen in seine finanzielle Situation zu stärken. Ein weiterer FTX-Fall soll damit verhindert werden. Buchhaltungs- und Finanzexperten des Wall Street Journals meinen jedoch, es sei noch ein weiter Weg, bis genügend aussagekräftige Informationen offengelegt sind. Reservennachweise (engl. = Proof-of-Reserves) seien ohne die Verifizierung von Verbindlichkeiten bedeutungslos.
60 Mrd. USD an Reserven
Binance hat vor rund zwei Wochen eine Proof-of-Reserves-Website eingerichtet, um seine Nutzer nach dem Zusammenbruch von FTX zu beruhigen. Diese geben Einblicke in die Krypto-Bestände der Börse. Wie immer gibt es bei diesen Proof-of-Reserves-Übungen allerdings einige Einschränkungen - schliesslich wird nur Binances Bitcoin-Inventar offengelegt.
Für die restlichen Bestände verwendet Binance einen "Merkle-Tree", um alle individuellen Nutzerkonten zu erfassen und ein kryptografisches Siegel zu erzeugen. Dieser Merkle-Tree umfasst die Guthaben der Nutzer über mehrere Binance-Produkte hinweg - Spot, Funding, Margin, Futures, Earn und Optionen. Die Börse hat auch alle Wallets veröffentlicht, in denen sich Kundenvermögen befindet.
Mit einem vereinbarten Verfahren (engl. = Agreed Upon Procedure, AUP) der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Mazars wollte Binance diesen Standpunkt festigen. Laut dem Bericht verfügt der Betreiber der weltgrössten Kryptobörse über genügend Bitcoin, um die Guthaben aller Nutzer auf der Börse zu decken.
Kein Vertrauen von Finanzexperten
Wie ein ehemaliges Mitglied des Financial Accounting Standards Board (FASB) meinte, schafft der Mazars-Bericht kein Vertrauen bei sophistizierten Anlegern. Der Audit mangle an Informationen über die eigenen Finanzen und bewerte keine internen Kontrollen. Ausserdem sei nicht bekannt, wie die Systeme von Binance Vermögenswerte zur Deckung von Margin-Krediten liquidieren.
Mazars stellte fest, dass Binance zu etwa 97% besichert war. Sie berücksichtigten dabei die von Kunden verpfändeten Out-Of-Scope-Vermögenswerte als Sicherheit für die In-Scope-Vermögenswerte nicht, die im Rahmen des Margin- und Darlehensangebots verliehen wurden. Dies führte zu negativen Salden im Kundenverbindlichkeitsbericht. Werden die In-Scope-Vermögenswerte beigezogen, die über Margin und Kredite an Kunden verliehen wurden, sei Binance zu 101% besichert. Die Out-Of-Scope-Vermögenswerte seien separat überbesichert, stellte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft fest.
Another misleading "PoR" AUP (not an audit) released today. Apparently, there is no consistent process used across exchanges. Again, the process strays far from the original spec.🤦♂️
1. "interchangeable" assets
2. negative balances included
3. no signing
4. aggregation by "class" https://t.co/FGQ3Mn9kyo— Jesse Powell (@jespow) December 10, 2022
Der "Liability Report" unterscheidet aber nicht zwischen den beiden unbekannten BTC Derivaten, die mit ihrer geringen Liquidität an sich wieder eine Abhängigkeit bilden. Ausserdem werden negative Kontostände aufgeführt, da laut Binance und Mazars irgendwo eine Überbesicherung vorhanden sei. Falls die Unterdeckung tatsächlich nur 4% beträgt, ist das Unternehmen dennoch ein Fels in der aktuellen Sturmbrandung. Ohne die unabhängige Verifizierung der Verbindlichkeiten bleibt eine definitive Konklusion allerdings schwer. Dies führte nicht zuletzt zur Abhebung von rund 5 Mrd. USD an Kundengeldern.