Die unabhängige Bitcoin-Wissensvermittlerin, Autorin des Einsteiger-Buches (L)earn Bitcoin und Gastgeberin der Anita Posch Show zu ihrem Krypto-Hintergrund, Frauen in der Blockchain-Szene und Bitcoin in Entwicklungsländern im Gespräch mit dem Crypto Valley Journal.
Entwicklungsländer stecken mitten in einer wirtschaftlichen Revolution. Werden Bitcoin & Co. in anderen Teilen der Welt oftmals als Finanzspekulation betitelt, zeigt sich in der Dritten Welt eine klare Tendenz zum alltäglichen Handel. Kleine und mittelständische Unternehmen sowie Einzelpersonen in Drittweltländern sind für diesen Trend verantwortlich. Das Beispiel des afrikanischen, aber auch des südamerikanischen Kontinents zeigt eindrucksvoll, wie Entwicklungsländer von Kryptowährungen profitieren können. Doch auch in westlichen Staaten bieten Kryptowährungen substanzielle Chancen zur finanziellen Inklusion aller Menschen.
Wie sind Sie das erste Mal in die Kryptowelt eingetaucht? Wo liegt Ihr Hintergrund?
Anita Posch: Ich bin seit 1999 im Bereich Internet und E-Commerce tätig. Habe selbst Webseiten programmiert, grosse E-Commerce Projekte geleitet und habe als Selbstständige einen Online-Marktplatz für nachhaltige Design-Produkte und für Co-Working-Spaces gegründet. 2016 habe ich eine Auszeit genommen, um mir klar zu werden, wie es weiter geht. Das Thema E-Commerce und Online-Marketing als selbstständige Unternehmensberaterin war mir zu eng geworden und ich sah keinen Platz für einen grösseren gesellschaftlichen und sozialen Beitrag meinerseits darin.
Im April 2017 habe ich einen Vortrag von Shermin Voshmgir über Bitcoin und Blockchains gehört. Ihre Darstellung der Technologie und der Möglichkeiten faszinierten mich und ich sah die Parallelen zur Entwicklung des Internets vor 30 Jahren. Die Möglichkeiten, die Bitcoin im Bereich sozialen Wandels und Förderung der Menschenrechte weltweit bietet, sind der Grund, wieso ich mich so stark für Bitcoin-Wissensvermittlung einsetze. Von da an habe ich mich intensiv mit dem Thema beschäftigt, nie aufgehört zu lernen und schätze mich glücklich, in dieser spannenden Branche tätig zu sein.
Bezeichnen Sie sich als Bitcoin-Maximalistin und wenn ja, warum?
Ich bezeichne mich lieber als Bitcoin-Monogamistin. Mich interessiert ausschliesslich Bitcoin, aber ich weiss, dass es immer andere Kryptowährungen geben wird. In meinem Podcast, meinem Buch und in meinen Vorträgen hebe ich deutlich die grundlegenden Vorzüge Bitcoins hervor. Die Entscheidung, welche Kryptos die Menschen nutzen wollen, überlasse ich ihnen selbst.
Wieso Bitcoin? Es ist die dezentralste aller Kryptowährungen. Die technischen Anforderungen, einen Netzwerk-Knoten zu betreiben, sind so gering, dass dies auch im globalen Süden oder in Gegenden mit schlechtem Internetempfang möglich ist. Es ist die einzige Kryptowährung ohne Führungspersönlichkeit, ohne Organisation, Bitcoin kann von niemandem beeinflusst werden. Es ist die einzige Kryptowährung, die als neutrales Instrument die Basis für eine globale Leitwährung werden kann und gleichzeitig unsere Privatsphäre schützt. Dies ganz im Gegensatz zu digitalem Zentralbankgeld (CBDC), das nicht nur eine Fortführung des traditionellen Geldsystems ist, sondern auch dystopische Formen der Überwachung unseres Alltags durch den Staat ermöglicht.
Wie sehen Sie Frauen in der Szene vertreten?
Wie bei allen Themen, die mit Informatik, Mathematik, Finanzen und Politik zu tun haben, sind Frauen leider unterrepräsentiert. Das ist nicht Bitcoins schuld, sondern liegt meiner Meinung nach an gesellschaftlichen Strukturen und Berufsbildern, die bestehende Hierarchien weiter perpetuieren. Bitcoin ist das ideale Werkzeug, um finanzielle Hierarchien zu sprengen, da es für alle unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe und Status gleich zugänglich ist. Bitcoin ist für Frauen und andere im aktuellen System Benachteiligte die grösste Chance, Wohlstandsunterschiede aufzuholen und beim Zugang nicht benachteiligt zu werden.
Wo sehen Sie die Anwendungsmöglichkeiten des Lightning Protokolls?
Das Lightning Netzwerk erweitert Bitcoin vom digitalen Gold als reines Investmentobjekt zum schnellen und sicheren digitalen Geld. Damit können global und ohne Einschränkungen durch Intermediäre von Mensch zu Mensch Zahlungen getätigt werden, die weit kostengünstiger sind als mit aktuellen zentralisierten Diensten. Ein grosses Anwendungsfeld sind Heimatüberweisungen, die beispielsweise 25% des BIP in El Salvador ausmachen. Die Kosten dafür musste bisher die ärmste Bevölkerung tragen, da sie die Hauptempfänger von Heimatüberweisungen sind.
1.7 Milliarden Menschen haben und werden nie ein Bankkonto besitzen, weil sie es sich nicht leisten können oder keine Papiere besitzen. Davon sind der Grossteil, nämlich 56%, Frauen. Mit Lightning können Mikrobeträge zu beinahe null Kosten verwendet werden, wodurch diese Menschen zum ersten Mal die Möglichkeit haben zu sparen, Kredite zu beantragen, und vieles mehr.
Auf Basis von Lightning entstehen völlig neue Möglichkeiten, über das Internetgeld zu verdienen. Bisher war es aufgrund der hohen Kosten der Zahlungsdienstleister nicht möglich, Geschäftsmodelle aufzubauen, die auf Mikrobeträgen beruhen. Mit Lightning können Beträge unter 0.004 CHF (10 Satoshis) weltweit versendet werden. Bitcoin verdienen kann man bereits auf Zebedee, einer Gamingapplikation und Podcast-Hörer sowie YouTube-Fans können ihren beliebtesten Content-Produzenten direkt Bitcoin senden. Das ist die Basis, um ausbeuterische Geschäftsmodelle wie jene von Facebook und Co. abzulösen, wo Umsatz aus mehr Sensation, Aufregung, Klicks und Werbung generiert wird.
Können Sie uns mehr zu Bitcoin in El Salvador erzählen?
El Salvador ist das erste Land der Welt, das Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt hat. Das Land hat keine eigene nationale Währung, seit 20 Jahren wird der US-Dollar als Zahlungsmittel verwendet. Dadurch sind die 6.5 Millionen Einwohner von der Geldmengenausweitung und Inflation in den USA stark getroffen. Nur 35% der Bevölkerung besitzen ein Bankkonto, 4 Millionen mal wurde die staatliche Bitcoin-Wallet namens Chivo bis dato heruntergeladen und installiert. Das bedeutet, dass nun 60% der Bevölkerung durch Chivo so etwas wie ein Konto besitzen. Präsident Bukele hat offensichtlich die Chance gesehen, über Bitcoin neues Geld und Innovation ins Land zu holen, womit er bisher Erfolg hatte. Geht man von der langfristigen Wertsteigerung von Bitcoin aus, wird das Land damit erfolgreich sein, vorausgesetzt die Bitcoin-Anwendung durch die Regierung wird gut verwaltet. Problematisch ist, dass der Quellcode zur Chivo Wallet nicht öffentlich ist, was der Philosophie von Bitcoin, dass alles überprüfbar ist, widerspricht und der Staat theoretisch jederzeit auf die Bitcoin seiner Bürgerinnen zugreifen könnte.
In welchen Sprachen gibt es Ihr Buch und weshalb?
Mein Buch (L)earn Bitcoin, das beste Einsteiger-Buch laut Honigdachs-Podcast, habe ich auf Englisch geschrieben, weil Bitcoin eine global nutzbare Technologie ist. Deutsch, weil es meine erste Sprache ist und Spanisch, weil in lateinamerikanischen Ländern wie Mexiko, Argentinien oder Venezuela die Adoption von Bitcoin am schnellsten voranschreitet. 2022 wird das Buch auf Portugiesisch, Italienisch und in eine afrikanische Sprache übersetzt werden.
Auf welche bevorstehenden Entwicklungen freuen Sie sich am meisten?
Bitcoin ist hartes Geld, das langfristig vor Inflation schützt und es ist die beste Anlageform der letzten 10 Jahre. Das Lightning Netzwerk, Layer 3 Technologien und Sidechains, die mit Stablecoins interagieren, werden Bitcoin in den kommenden Jahren als Zahlungsnetzwerk etablieren. Mit "Bitcoin for Fairness", einer von mir gegründeten Initiative, möchte ich hervorheben, dass Bitcoin das fairste aller Finanznetzwerke ist. Ich werde 2022 zu lokalen Bitcoin-Gemeinschaften in Afrika und Lateinamerika reisen, um mein Wissen zu teilen und Brücken zur internationalen Bitcoin-Gemeinde zu schlagen. Ich freue mich darauf, dass mehr und mehr Menschen, die im aktuellen System benachteiligt sind, Bitcoin nutzen und damit langfristig Wert schaffen können.
Anita Posch ist unabhängige Bitcoin-Wissensvermittlerin, Autorin des Einsteiger-Buches (L)earn Bitcoin, Gastgeberin der Anita Posch Show und Gründerin der gemeinnützigen Bildungsinitiative “Bitcoin for Fairness”. Über ihre Arbeit mit Bitcoin berichteten u.a. Publikationen wie der “What Bitcoin Did” Podcast, ARD und bayrisches Fernsehen. Anfang 2020 war sie die erste Bitcoinerin, die Simbabwe besuchte, um die monetäre Situation des Landes sowie die Akzeptanz von Bitcoin zu erforschen und über die Ergebnisse in ihrem Podcast zu berichten. Ziel war es, durch Interviews eine Brücke zwischen Menschen, die unter autoritären Regimen leben, und dem Rest der Welt zu schlagen und zu zeigen, wie Bitcoin ihre Lebensbedingungen und finanzielle Freiheit verbessern kann.