Kryptowährungen zeichnen sich durch ihre globale und anonyme Natur aus. Deshalb ist es naheliegend, eine Sanktionsumgehung Russlands mit Bitcoin oder alternativen Blockchain-Netzwerken zu vermuten. Branchenexperten bestreiten diese Annahme allerdings und weisen auf unzureichende Liquidität hin.
Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zieht sich weiter in die Länge. In den vergangenen Wochen haben verschiedene westliche Organisationen Sanktionen gegen Russland verhängt, um Putin und die russischen Oligarchen wirtschaftlich zu schwächen und so zu versuchen, den Krieg zu beenden. Seit der Verhängung dieser Massnahmen kursieren Gerüchte, dass Kryptowährungen zur Umgehung der Sanktionen verwendet werden könnten. Allen voran die Europäische Zentralbank (EZB).
Christine Lagarde und Fabio Panetta beziehen Stellung
Die Chefin der Europäischen Zentralbank hat auf einer Konferenz ihre Besorgnis über die mögliche Verwendung von Kryptowährungen durch russische Unternehmen geäussert. Christine Lagarde behauptet, dass Kryptowährungen derzeit von russischen Unternehmen im Russland-Ukraine-Konflikt eingesetzt werden, um die von der G20 und der EU verhängten Sanktionen zu umgehen. Ihre Argumentation stützt sich auf die Bewegung von Rubel in Kryptowährungen und Stablecoins: "Im Moment ist es das höchste Niveau, das wir seit vielleicht 2021 gesehen haben."
Im vergangenen Monat stiegen die Handelsvolumina zwischen dem russischen Rubel und Tether (USDT) sprunghaft an und machten mehr als 2% des weltweiten Handels mit dem führenden Stablecoin aus. Lagarde geht davon aus, dass die steigenden Volumina in Erwartung von Sanktionen, die westliche Mächte gegen Russland verhängen würden, zustande kamen.
EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta schloss sich Lagardes Bedenken an und argumentierte, dass der dezentrale Charakter von Kryptowährungen ein Schlupfloch darstelle. Das Risiko des Missbrauchs von Krypto-Vermögenswerten zur Umgehung von Sanktionen gegen Russland sei eine wichtige Erinnerung daran, dass diese Märkte die strengsten Standards einhalten müssen. Bedenken wurden auch von US-Senatorin Elizabeth Warren und dem stellvertretenden Premierminister der Ukraine geäussert, die einige Kryptowährungsbörsen aufforderten, ein generelles Verbot für russische Kunden zu verhängen.
Lagarde sieht sich starkem Gegenwind ausgesetzt
Mehrere Branchenverteter bestreiten Lagardes Behauptungen. Top-Kryptowährungsbörsen wie Binance und Coinbase haben beispielsweise weitreichende Massnahmen ergriffen, um sanktionierte Nutzer von ihrer Plattform zu blockieren. Dies geschiehe mithilfe derselben Werkzeuge, die bei traditionellen Handelsbörsen verwendet werden. Ohne Zugriff auf die liquidesten Handelsplätze für Kryptowährungen seien grosse Transaktionen von Rubel zu Bitcoin schlichtweg nicht möglich, so einige Experten.
"Ich möchte meinen Nachfolger zitieren, der vor kurzem sagte: Man kann nicht über Nacht einen Schalter umlegen und eine G20-Wirtschaft mit Kryptowährungen betreiben, es gibt einfach nicht die Liquidität" - Michael Mosier, stellvertretender Direktor und Beauftragter für digitale Innovation beim Financial Crimes Enforcement Network (FinCEN)
Jonathan Levin, der Mitbegründer vom führenden Krypto-Marktforscher Chainalysis, habe bisher ebenfalls keine Beweise dafür gesehen, dass Russland oder Putin systematisch Kryptowährungen nutzen, um Sanktionen zu umgehen. Chainalysis arbeitet seit Jahren mit den Behörden zusammen und überwacht die Krypto-Märkte rund um die Uhr, um Kriminelle zu überführen. Ihm stimmt Michael Chobanian, Präsident der Blockchain Association of Ukraine, zu. Er sei die Person hinter all den Zahlen und seiner Meinung nach ist es unmöglich, grosse Geldbeträge von Fiat in Krypto zu transferieren, ohne Spuren zu hinterlassen.