Andreas Antonopoulos über Bitcoin, Kapitalismus, Blockchain, Krypto-Sezession und die Zukunft des Nationalstaates.
Im Rahmen einer der grössten Meetup-Veranstaltungen Europas, organisiert von der Bitcoin Switzerland Association, verbrachte Andreas Antonopoulos einige Tage in der Schweiz. Neben seinem Vortrag über seine Gedanken zur Zukunft programmierbaren Geldes konnten wir Andreas treffen, um über Krypto und die Welt zu sprechen.
Langsam aber sicher verlässt Krypto die Nische. Was macht das Thema aus Sicht des grossen Ganzen so interessant?
Die Blockchain-Technologie ermöglicht nicht nur eine Geschäftsbeziehung zwischen zwei sich nicht vertrauenden Transaktionspartnern, sie schafft eine Vertrauensbasis für Abstimmung und Governance im Allgemeinen. Bei Krypto geht um die Transformation und Reformation des „Marktes für Vertrauen“.
Die Blockchain ist also nicht einfach eine neue Trägertechnologie, sondern eine institutionelle Technologie?
Sie ist eine nicht-institutionelle Technologie und de-institutionalisiert den Markt für Vertrauen.
Somit ist die Blockchain eben doch eine institutionelle Technologie, schliesslich konkurriert sie mit Institutionen wie Unternehmen, Konzerne, Bürokratie und Staaten?
So betrachtet, ja. Ich bezeichne sie als nicht institutionell, weil die Blockchain tatsächlich sehr ineffizient ist. Es sei denn, als Institution hat man es auf sehr spezifische Merkmale wie Zensurresistenz, Offenheit und Unveränderlichkeit abgesehen. Alles Eigenschaften übrigens, die heute weder für Banken noch für Staaten von Interesse sind und das Gegenteil von dem ausmachen, was unser traditionelles System derzeit verkörpert.
Wie erklären Sie sich das?
Der Kapitalismus, wie er heute existiert, ist nicht skalierbar. Zu Beginn, im 18. Jahrhundert, lief alles wie geschmiert. Doch heute stösst das System an seine Grenzen, der Kapitalismus hat keine Lösungen für die globalen Probleme unserer Zeit. Dies vor allem deshalb, weil unsere traditionellen Institutionen, die hierarchischer Natur sind, immer stärker zentralisiert werden.
Warum ist diese Zentralisierung ein Problem?
Weil immer mehr Macht in immer weniger Händen konzentriert ist. Noch verheerender ist, dass diese Macht immer weiter entfernt von den Orten, wo ihre Entscheidungen eine Auswirkung haben.
Ist das nicht der natürliche Verlauf des Kapitalismus, wie ihn der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter beschrieben hat?
Was wir heute haben, ist ein Kapitalismus, der Angst vor freien Märkten hat. Einen Kapitalismus, der danach strebt, Monopole, lizenzierte Organisationen und regulierte Industrien zu schaffen, die ihre eigenen Interessen schützen und den Wettbewerb abwürgen. Wenn heute freie Märkte entstehen, werden sie ironischerweise von jenen Kräften bekämpft, die sich als kapitalistisch bezeichnen.
Viele Banker haben ein ambivalentes Verhältnis zu Kryptowährungen. Haben Sie dafür eine Theorie?
Wenn ich an Bankveranstaltungen über Krypto spreche, höre ich immer wieder, dass sich die Banker keine Sorgen machen. Sie gehen davon aus, dass den neuen öffentlichen Kryptonetzwerken von den Regierungen das Handwerk gelegt wird. Das ist eine schockierende Aussage. Banken sind vermeintlich Horte des freien Marktes – dabei fürchten sie den freien Wettbewerb.
Aufgrund ihrer Dezentralität können Kryptowährungen von Regierungen nicht einfach so aus dem Verkehr gezogen – oder doch?
Nein können sie nicht, und das steht im Widerspruch dazu, wie unser System heute funktioniert. Seit den 1970er-Jahren gilt es als anerkannt, dass jede Transaktion für den Staat sichtbar und er alle Teilnehmer des Zahlungsnetzwerkes kennt.
Ausserhalb der Krypto-Community scheint man sich an dieser Tatsache wenig zu stören.
Es ist heute immer noch ein Tabu, diese Tatsache zu hinterfragen. Der Gedanke, dass der Staat jede Transaktion überschauen muss, ist per Definition totalitär. Eine solche Sichtweise, sollte man sollte meinen, hat in einer freien Gesellschaft keinen Platz.
Oft wird das Argument der Verbrechensbekämpfung bemüht.
Dass das System der Verbrechensverhütung wirklich effektiv ist, ist ein Mythos. Tragischerweise hält sich das Narrativ, wonach Blockchain und Kryptowährungen primär für Kriminelle nützlich sind, hartnäckig. Eine solche Haltung sagt viel über ihren Absender aus.
Zum Beispiel?
Entweder betrachtet man jede Person, die die Zugangsprüfungen zum System nicht bestanden hat und daher kein Konto hat, als kriminell. Oder man negiert die Tatsache, dass die grössten Kriminellen der Welt, die Verbrechen gegen Milliarden von Menschen begehen, Banker und Politiker sind. Die Vorstellung, dass ein offenes Marktsystem nur von Kriminellen genutzt wird, ist lächerlich. Vor allem dann, wenn diese Kritik von einem System kommt, das in grossem Umfang Kriminalität, Korruption und Betrug hervorbringt.
Sie sprechen sich also für ein ungeregeltes und unbeaufsichtigtes Finanzsystem aus?
Natürlich. Dass der Staat vollständige Ein und- Aufsicht in und über die Finanzangelegenheiten seiner Bürger hat, ist eine historische Anomalie. Über Jahrtausende fanden Finanztransaktionen anonym von Mensch zu Mensch und ohne Vermittler statt. Ein System wie das unsrige wird heute sowohl von totalitären als auch von nicht-totalitären Regierungen missbraucht, um Währungs- und Handelskriege zu führen.
Können Sie das genauer erläutern?
Das Problem ist, dass unser heutiges System zwei Funktionen hat: Sicherstellung des internationalen Handels auf der einen Seite, Durchsetzung von Recht und militärischen und geopolitischen Interessen auf der anderen Seite. Eine der beiden Funktionen muss nachgeben, und in der Regel ist es der Handel, der behindert wird. Dies, weil wir nicht bereit sind, die Nutzung unseres Systems zur Durchsetzung von Gesetzen, Militärs und Geopolitik aufzugeben. Genau deshalb brauchen wir dringend ein System von öffentlichen, freien und bewilligungsfreien Blockchains, das ausschließlich der Förderung des internationalen Handels dient.
Blockchains sind also doch eine Herausforderung für das bestehende System?
Sie sind nicht so sehr eine Herausforderung, sie stellen vielmehr eine Reformation dar. Aufgrund eines unheiligen Bündnisses von Finanzen und Politik funktioniert unser System nicht richtig – weder für jene ohne Bankzugang, noch für uns im Westen. Die Politik korrumpiert die Finanzwelt und die Finanzwelt korrumpiert die Politik, was die Demokratie erodieren lässt und fragile Wirtschaftsstrukturen schafft, die Boom- und Bust-Zyklen erliegen, die immer schlimmer werden.
Das System komplett zu reformieren, ist eine ziemlich grosse Herausforderung.
Krypto reformiert das bestehende System, indem es eine valide Alternative bietet. Da es sich um offene Netzwerke handelt, stellen sie das alte System nicht in Frage. Es sei denn, man betrachtet das Anbieten von Wahlmöglichkeiten als Herausforderung. Wenn man dies tut, zeigt das die grundsätzliche Problematik auf, wonach das Anbieten einer Alternative als Problem angesehen wird. Das sollte in einem freien System aber nicht der Fall sein.
Was sicher stimmt: Für alle, die nur das traditionelle System kennen, stellt Krypto eine grosse Herausforderung dar.
Für sie funktioniert das System, weshalb sie ihre Macht und ihre Vorteile bedroht sehen. Aber wenn man einmal aus seiner Komfortzone heraustritt, findet man viele Menschen, die überhaupt nicht von diesem System profitieren. Je weiter man sich von den westlichen Nationen entfernt, desto weniger profitieren die Menschen.
Leidet unser gegenwärtiges System nicht auch unter einem abnehmenden Grenznutzen?
Absolut! Die Zahl der Menschen, die vom System profitieren, sinkt. Für jüngere Generationen, digitale Unternehmer und Nomaden, die in Start-ups und neuen Branchen tätig sind, wird es immer schwieriger, Teil des Systems zu werden.
Können Sie diese Aussage präzisieren?
Wer einen sehr traditionellen Lebensstil mit einem geregelten Bürojob in einem Unternehmen und einem regelmässigen Gehalt zur Bezahlung der Hypothek hat, merkt von diesem abnehmendem Grenznutzen noch wenig. Ein Freelancer jedoch muss zusehen, wie sein PayPal-Konto wegen nicht identifizierbarer Gelder gesperrt wird. Personen, die oft umziehen und ihre Wohnadresse daher nicht ausreichend dokumentieren können, erhalten kein Bankkonto. Das System dient nicht nur wenigen Menschen, es dient tatsächlich auch immer noch weniger Menschen. Betroffen sind jene, die in den schnelllebigen und modernen Wirtschaftszweigen unterwegs sind.
Kann Krypto Abhilfe schaffen?
Ja. Unterversorgte Menschen werden in eine Kryptoökonomie abwandern, während ein Beamter nicht dagegen tun kann. Ironischerweise werden die Menschen Polizisten, Militärs und Politiker in Kryptowährungen bestechen. Ähnlich wie damals in der Sowjetunion, als man den Besitz harter Währungen verboten hatte. In unserer verrückten Welt wird hartes Geld zu einer immer wünschenswerteren Sache werden, weshalb Bestechung und Korruption vorwiegend mit diesem Geld stattfinden wird.
Werden aufstrebende Kryptoökonomien zu Tode reguliert werden?
Sobald Menschen ihr hart verdientes Geld in Krypto verdienen und es in Krypto ausgeben werden, findet kein Austausch mehr statt, der überwacht werden könnte. Die Regulierung kann nur an den Rändern durchgesetzt werden, zum Beispiel bei den Kryptohandelsbörsen. Werden diesen jedoch undurchdringliche Zäune auferlegt, bleiben die Menschen halt in der Kryptowelt. Genauso wie damals, als die US-Immigration in den 1980er-Jahren verschärft wurde. Viele Mexikaner arbeiteten ein paar Monate lang in den USA und kehrten dann zu ihren Familien zurück. Als die Einwanderung strenger wurde, blieben sie einfach in den USA.
Wenn immer mehr Menschen in einen Bereich vorpreschen, in dem Regierung und Banken weder den Informationsfluss noch den Werttransfer kontrollieren können, bedeutet das den Untergang des territorialen Nationalstaates?
Es ist offensichtlich, dass unser System nicht ewig halten wird. Ich war vor kurzem auf Reisen durch Osteuropa. Vor weniger als hundert Jahren gehörten die meisten Orte, die ich besuchte, zur österreichisch-ungarischen Monarchie. Wo ist diese heute? Längst weg. Die Vorstellung, dass es bin in alle Ewigkeit Nationalstaaten geben wird, ist eine Illusion, die durch scheinbare Konstanz genährt wird. Wir alle sind in Nationalstaaten aufgewachsen, wir kennen nichts anderes. Es ist der selbstverständliche Status quo.
Warum wird der Nationalstaat nur von so wenigen in Frage gestellt?
Menschen haben Angst vor Veränderungen, das gehört zu unserer Natur. Wir fürchten uns vor Dingen, die uns unbekannt sind. Doch das heisst nicht, dass sie nicht trotzdem passieren. Viele Dinge im Leben scheinen undenkbar – bis sie gedacht werden müssen, weil sie tatsächlich geschehen.
Wann werden Nationalstaaten von der Bildfläche verschwunden sein?
Der Nationalstaat wird nicht über Nacht verschwinden. Es könnte ein jahrhundertelanger Weg sein, auf dem sich der Nationalstaat im Laufe der Zeit allmählich verändert. Ein Teil, der ehemals vom Nationalstaat ausgeübten Macht, wird sich in Richtung lockererer Konföderationen und Gebilden mit weicheren Grenzen verschieben. Die pessimistischere Sichtweise ist eine Verschiebung hin zu faschistischeren und totalitären Lösungen. Dies ist der Weg, auf dem sich China befindet, einige westliche Regierungen scheinen dem Beispiel zu folgen. Als hätten sie nichts aus der Geschichte gelernt.
Welches Szenario ist wahrscheinlicher?
Darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort, in verschiedenen Teilen der Welt werden verschiedene Szenarien eintreffen. Es gibt aber viele interessante Entwicklungen. Zum Beispiel Estland mit seinem Konzept des dienstleistungsorientierten Nationalstaates, in dem die Teilnahme am Nationalstaat einem breiteren Personenkreis offen steht. So besteht ein gutes Verhältnis zwischen Dienstleistern und ihren Bürgern, und eines, bei dem sich Bürger als Milchkuh fühlen.
Kann jeder von überall her Estlands Angebot nutzen?
Ja. Genutzt wird es vor allem von digitalen Nomaden, von denen es immer mehr gibt – nicht zuletzt wegen Krypto, das den nomadischen Lebensstil überhaupt erst ermöglicht. Als digitaler Nomade lebe ich seit vier Jahren mit zwei Koffern und bin somit nicht an Geographie und eine bestimmte Regierung gebunden. Für Menschen, die so leben, wird eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen verhandelbar. Nicht, weil wir die Macht haben, sie zu verhandeln. Gefällt uns jedoch nicht, was wir bekommen, ziehen wir an einen anderen Ort und wählen so die Regeln, nach denen wir leben.
Dieser Lebensstil eignet sich nicht für alle.
Es gibt mentale und soziale Barrieren, aber auch praktische Hindernisse. Das Leben als digitaler Nomade ist ein sehr privilegierter Lebensstil und steht nur Menschen offen aus bestimmten Ländern offen. Menschen mit einem türkischen oder vietnamesischen Pass können dies nicht tun, mit einem amerikanischen, deutschen oder Schweizer Pass geht es. Wenn du richtig reich bist, kannst du dir allenfalls verschiedene Pässe kaufen.
Apropos: Was geschieht mit dem Konzept des Reisepasses, wenn es keine Nationalstaaten mehr gibt?
An gewissen Orten hat er bereits an Bedeutung verloren. Viele vertrauen meiner Airbnb- oder Uber-Identität mehr als derjenigen, die mir mein Staat gibt. Wir haben bereits fragmentierte digitale Identitäten, die transnational sind und in bestimmten Kontexten regen Gebrauch finden. Facebook hat ein mächtiges Identitätswerkzeug, das es Millionen von Menschen ermöglicht, sich auf verschiedenen Webseiten anzumelden und diese Identität zu kontrollieren. Das ist keine gute Sache, doch es zeigt, dass nicht von Nationalstaaten kontrollierte Identitäten existieren können.
Kann die Blockchain helfen, das Konzept der selbstsouveräne Identität zu verwirklichen?
Ja, wir können zu einem absolut dezentralen Identitätssystem übergehen, und die Blockchain wird ihren Teil zu dieser Entwicklung beitragen. Auf lange Sicht sehe ich auch die Möglichkeit dezentraler Reputationssysteme, denen man mehr vertrauen kann als unseren heutigen Systemen.
Was sind weitere interessante Einsatzfelder?
Neben Finanzen und Geld sowie Identität und Reputation ist es das Thema der Governance. Sie ist eine der Hauptanwendungen von Systemen wie Ethereum. Es geht um die Fähigkeit, die dezentrale Kontrolle über etwas auszuführen – nicht zwingend Geld – ist, sondern vielleicht etwas wie ein Abstimmungssystem.
Das Thema Blockchain Governance ist noch jung und unausgegoren. Was ist genau damit gemeint?
Gemeint ist Governance im grosse und im kleinen Stil. Dezentrale autonome Organisationen, vertikale Kooperationen, bei denen Aktionäre und Geschäftsführer digital und anonym abstimmen zum Beispiel. Dezentrale Governance könnte aber auch Gemeinden, Stadtverwaltungen und irgendwann Nationalstaaten erreichen.
Bitcoin war also nur der Anfang?
Mit ihm wurde nur die Tür zu einem komplett neuen Wirtschaftssystem aufgestossen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir erstmal hartes Geld und eine robuste Zahlungsinfrastruktur benötigen, bevor wir anderen Bereiche in Angriff nehmen können. Aber das wird geschehen. Im Moment versuchen die Regulierungsbehörden, den Bitcoin aus den Jahren 2012 bis 2013 zu regulieren, doch er hat sich weiterentwickelt. Und dann gab es ja noch ganz viele andere Neuerungen. Die Regulierungsbehörden sehen nicht, was in der Kryptowelt geschieht, geschweige denn, was kommen wird. wird.
Der Kapitalismus der Zukunft wird also nicht wiederzuerkennen sein?
Das hoffe ich doch. Das zukünftige Vertrauensmodell, das wir derzeit aufbauen, ist viel flacher, weniger hierarchisch. Zudem funktioniert es nach Regeln, die in das System eingebaut sind, was den Missbrauch des Systems viel schwieriger macht. Das wiederum sorgt für transparentere, effizientere und funktionellere freie Märkte.
Wie stehen die Chancen, dass dieses neue Vertrauensmodell erfolgreich sein wird?
Wenn man ein System hat, in dem die Bedingungen offener, freier und effizienter sind, gibt es keine Zweifel über den Ausgang: Das kostenlose, offene und effiziente System schlägt das geschlossene, zentralisierte und ineffiziente System immer.
Andreas M. Antonopoulos ist Bestsellerautor, Referent, und einer der weltweit führenden Experten zum Thema Bitcoin und öffentlichen Blockchains.
Dieser Artikel ist im Original auf 10x10.ch erschienen und ist Teil einer Kooperation.